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nur eine beschränkte Berechtigung. Der Berliner ist im Grunde seines Wesens konservativ, der aber gern bereit ist, diese klare Erkenntnis durch einen Witz oder durch eine überspannte Bemerkung hinwegzuleugnen. Er ist konservativ, weil er nicht gern neue, unbekannte Verhältnisse plötzlich haben will. „Weil das noch nicht gewesen ist," dieser auch orthographisch schiefe Ausspruch des Schulzen Tübbecke von Stralau, mit dem er s836 den Eingriff eines Beamten ablehnte, ist charakteristisch. Erst dann, wenn das Neue alte Formen angenommen hat, was in der Großstadt ja sehr schnell geht, erst dann befreundet er sich damit und verteidigt dieses Nelle mit derselben Hartnäckigkeit, init der er es vordem abgelehnt hat. Ja, er findet es unbequem, wenn er daran erinnert wird. Eine ganze Reihe von Redensarten zeugen davon, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt in der Form wechseln, im Sinne aber unverändert bleiben?)
Seit den 70er Jahren des l y. Jahrhunderts hat sich auch in dein Berlinertum vieles verändert. Der eigentliche geschichtliche Typus stirbt aus. Wir sehen aber schon jetzt, daß aus dem brodelnden Volksgemisch ein Großstädter hervorgeht, bei dem die alte Berliner Eigenart zum Teil wieder zuin Durchbruch koinmt, wenn ihm auch minder gute Eigenheiten anhaften.
Von den Eigentümlichkeiten des Märkers bat der Landmann am wenigsten ausgegeben; aber er hat sie auch nur unvollkommen entwickeln können. Die gemeinsame Abstammung der deutschen Kolonisten konnte nicht verhüten, daß die bäuerliche hnüer der städtischen Bevölkerung zurückblieb. Die gleichen Interessen, die überdies durch die politischen Unruhen gestört wurden, verloren sich noch mehr durch soziale Verschiebungen. Dem Bauern, dem oft genug selbst der Besuch des städtischeil Marktes erschwert wurde, ist dadurch etwas Eckiges, Rückständiges, Unfreies anhasten geblieben, das er auch nicht, wie sein süddeutscher Genosse, an Festestagen und in jubelndem Übermut zeitweise überwinden konnte. Das Unterbinden der persönlichen Bewegungsfreiheit, das über drei Iabrbunderte die bäuerlichen Schwingeil lähmte, wandelte den stammesartlichen Grundcharakter in eine Reihe sozialer Abschattierungen um, mit all den Schwächen, die in dem Niedergange eines Berufsstandes vorhanden sind. Wie eine granitne Unbewegtheit lagert es sich in dieser langen Ieit auf dem Landvolke; nur blitzartig durchleuchtete von Aeit zu Ieit eine rohe Gewalttat das Dunkel, die vom einzelnen ausging, von der Gesamtheit in ihren Folgen zu tragen war. Das tritt besonders nach dem Dreißigjährigen Kriege zutage, als Tausende von verwilderten Existenzen durch das Land streiften, eine Landplage gefährlichster Art gleichend, die aber doch nur bei einzelnen Individuen Schaden stiftete, weil die natürliche Trägheit der Masse selbst den Angriffe» verlockender Wildbeit standhielt. Der märkische Bauer zog alles, was von außen an ihn kam, in sich hinein, indessen konnte er sich niemals so recht über den Stoff erheben. Er bildete eine Summe trägster Gelassenheit, die sich nicht auf ein Bauernproletariat beschränkte, sondern in ihrem Niedergange auch andere Stände ergriff, mit dem Umstande freilich, daß hier noch Kräfte vorhanden waren, die nach einem äußerlichen Gegengewicht — und wenn es auch nur s)runk war —
y Man beachte dabei die Übertreibung, die schließlich bis ins Lächerliche geht. Z. B. die ursprüngliche Redensart „Sie haben ja so recht", die später in „Sie haben ja so richtig" und schließlich in das unsinnige „Sie haben ja so reine Manschetten" übergeht.