Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
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In den letzten Jahrzehnten ist die schöne alte Sitte abgekommen. Nur vereinzelt haben junge Eheleute bei dem Errichten eines eigenen Hauses auch eine Inschrift an­bringen lassen. Und diese ist ganz im Lharakter unserer Zeit mit ihrer Neigung zu leerem Prunk auf eine Marmortafel init vergoldeter Jahreszahl und die Namen be­schränkt worden. Von einer lebensvollen Volkskunst, die in den Poesien wie in der schönen Llachschnitzerei so viele schöne Beweise ihres Könnens gegeben hat, ist nichts übrig geblieben, wenn auch die Bauart nicht immer die Anbringung von Holzbalken be­günstigt, dann würde ein Bedürfnis schon andere Wege für die Inschrift finden. Die Hauptsache ist das Bedürfnis, hoffen wir, daß es eines Tages wieder erwache wie manches andere, das wir vergessen wähnten.

Wahrzeichen.

Durch die ganze Entwicklung der Volksanschauungen geht wie ein roter Laden die Vorstellung, daß es unheilvolle Wesen gibt, die den Menschen zu schädigen trachten. Und mit der vermeintlichen Erkenntnis dieser Leinde wuchs auch das Bestreben auf, ihre feindlichen Wirkungen durch Gegenkräfte aufzuheben. Die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige Taspar, Melchior und Balthasar werden im Osten und vereinzelt im Westen der Provinz noch heute am Dreikönigstag mit Kreide an die Türrahmen der Ställe geschrieben, um das Vieh vor Krankheit, soll heißen vor dem Verhexen, zu schützen. Das Kreuz, das sich bisweilen als Giebelschmuck findet, das Donnerkraut oder Hauswurz, Hauslaub, Hauslauch sLomporvivum tsotorum) auf den Strohdächern oder geeigneten Mauervorsprüngen, der Donnerstein (Belemnit) auf dem Lirst, das Hufeisen auf der Schwelle haben in diesem Abwehr- oder Schutzsinne dieselbe Wertung in Branden­burg wie der ornamentale Hexenbesen oder die Mühle bei den Niedersachsen. Aber diese letzgtenannten Schutzmittel sind in Brandenburg zum Teil nicht vorhanden, auch gehören sie mehr in das Gebiet der inneren als äußeren Volkskunde. Nur ein Wahrzeichen hat sich mit seiner Gestaltung zugleich eine durch Sagen unterstützte Bedeutung in Bran­denburg erkämpft, die auch die Gattung im übrigen Deutschland beeinflußt hat: das ist der Neidkops.

Besonders um den Berliner Neidkopf, Spandauerstraße 38 , hat die Sage einen bunten Schleier gewebt, der geradezu die eigentliche Bedeutung des Kopfes lange Zeit verhüllte. Trotzdem läßt sie, die in diesem Lalle sehr ehrsame geschichtliche Persönlich­keiten mit dem rünnbild in Verbindung bringt, doch noch leise die alte Anschauung durch- Ichimmern. Der Neid, der schädigende haß wird in der novellistischen Erzählung an den Pranger gestellt, um eine ursprünglichere Empfindung: die Abwehr einer Schädi­gung zu verschleiern. Diese Aufgabe der Gattung Neidkopf, die in ganz Deutschland zu finden ist, ist dann später von bestimmten Hausinschriften abgelöst worden?) Ihr Inhalt ist Anrufung des Schutzes Gottes und Kennzeichnung der feindlichen Kräfte als Neid und Mißgunst. In der älteren Auffassung wurde deren Gewalt gebrochen durch ein Abbild ihrer selbst, an das man sich im Anschlüsse an die antike Überlieferung des Me-

st Robert Mielke, Ser Neidkopf. Monatsblatt der Brandenburgia VII, I 88 A, S. 28s f.