Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
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tausendjährige Vergangenheit unlöslich mit der Volksanschauung verbunden war. Und das Befremdende einer Erscheinung wird dann durch irgendeine Sage erklärt wie an den zwei Röpsen an der Rirche zu Belitz, die mit einem hostiendiebstähl in Zusammen­hang gebracht wurden. Wenn nicht eine säst zweihundertjährige Mörtelschicht sie begraben hätte, würden wohl auch die beiden Röpfe am Altstädter Rathaus, die in Branden­burg a. h. unlängst zum Vorschein gekommen sind, eine erklärende Sage haben entstehen lassen. Alle solche Wahrzeichen entwinden sich mit der Zeit dem gemeinsamen verbin­denden Gedanken, der sie einst lebensfähig gemacht hat; sie werden selbständig und ge­winnen durch die Sage ein mehr persönliches oder örtliches Interesse. Das hat dem Hause mit den stst Schafsköpfen in Berlin, von dem die Sage eine sehr entfernte, ab­geblaßte Erinnerung an Habgier und Neid Hindurchschimmern läßt, zu einem Wahr­zeichen der Stadt gemacht, wie es das Rathenower Tor in Brandenburgs durch die Vogel­gestalt mit Ring und Rette flugs mit der Magdeburger Sage von dem unschuldig wegen Diebstahls Hingerichteten Diener in Verbindung bringt. Auch der Bechliner Rnief, das Wahrzeichen des Dorfes Bechlin bei Neu-Ruppin, das am Gstgiebel der Rirche befestigt und wohl eine alte Sense ist, scheint auf Grenzstreitigkeiten zurückzugehen, wenn man die darum üppig wuchernden Erzählungen zergliedert. Diese dem Boden einer uralten Gewohnheit gewissermaßen entwurzelten Wahrzeichen, die man fast in jedem Grte hatte, haben in der Zeit des Innungszwanges eine nicht un­bedeutende Rolle gespielt, weil der Altgeselle die wandernden Burschen durch Fragen nach den Wahrzeichen auf die Glaubwürdigkeit ihrer Reiseberichte prüfte. Sie sind auf diese Weise der Vergessenheit entrückt, aber auch durch die Berichte selbst vielfach verändert worden. Eines der selt­samsten Wahrzeichen besitzt Lübbenau in einem hölzernen Gchsenkopf iAbb. 8h, von dem eine angebrachte orthographisch und grammatisch wacklige Inschrift sagt:

Ich trug den kühlen Wein aus meinem Vaterland Ich mesn aus Ungarland, für Rönige von Stralsund Daselbst ward ich verkauft, nach Lübbenau am Strande Wein Fleisch war schön und fest und Jedermann gesund Man nennte mich Husar, ich wog auf Siebzig Steine Vor Vierzig Thaler Geld, gab mir mein Herr nicht weg Es sagte Jedermann, ich war gewiß nicht kleine.

Man sähe auch an mir, nicht einen Tadel Fleck Ein Tausend Sieben hundert u. Fünfzehn ists geschehn Daman mich vor Stralsund In Pommern hat gesehn.

-) Auch in prenzlau ist aus gleicher Veranlassung diese Sage nachgewiesen.

Abb. 8-z. Wahrzeichen in Lübbenau.