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einzelnen, vertauscht die Farben; sie nimmt Einzelheiten von ferne auf, aber sie erweitert nur den Abstand zwischen der Kleidung der Bevölkerungsschichten. Und je höher die Stände stehen, um so mehr unterliegen sie der Neigung zum Prunk und zur Pracht. „So wurde auch die Tunika in den Scheckenrock oder Lendner und endlich in die Stacke verengt. Die alte Kleidung war über den Kopf angezogen worden; das war nun nicht mehr möglich, man schnitt also das Gewand jetzt vorn seiner ganzen Länge nach auf und hatte die Ausgangsformen des heutigen Rocks. Der kurze Rock bedingte jetzt ein von der Hüfte bis zum Fuß in einem Stück herabreichendes Beinkleid; in lästiger Enge lag es wie angegossen da. Ähnlich waren die Veränderungen des Frauenkleides; die Enge am Vber- körper wird bis zur Unnatur fortgesetzt, die Taille rückt größtenteils bis unter die Brust, die übermäßigen Schleppen hindern die Bewegung, die Ärmel verlängern und erweitern sich ins Ungemessene, und die wachsende Dekolletierung legt Brust und Rücken bloß bis hinab zum Gürtel. Daneben blühen die Torheiten der flatternden Binden, der klingenden Schellen, der Schnabelschuhe und der klappernden Pantoffel." (Jakob Falke.) Bis zum l 6. Jahrhundert dauerte diese Richtung, die dann in den oberen Ständen ebenso energisch von einer strengeren, farbloseren und nüchternen abgelöst wurde.
Me in einem spitzen Winkel lief der märkische Sonderschnitt der Trachtenentwicklung von der breiten europäischen Bahn aus, ohne wesentlich örtliche Formen einzugliedern. Zede Veränderung ist durch langsames Weiterwachsen entstanden, aber sie verlor dabei nicht den Zusammenhang mit der Aeittracht. Da trat eine neue Wacht auf, die die gesamte Oberschicht der Bevölkerung: Bürger, Ratmannen, Amtsmänner, Ritter, Beamte, Gelehrte u. a. zwang, neuen, oft plötzlich gekommenen Wandlungen zu folgen. Es waren die Landesfürsten und der Hof. Was namentlich der letztere, trotz seiner Vielköpfigkeit und Ziellosigkeit an Einfluß ausübte, wie durch ihn die dunkle, faltenreiche, halblange Schaube in Ausnahme kam, wie der Schnabelschuh vom Breitschuh, der sogenannten Bärentatze, verdrängt wurde, wie die stoffreichen Frauengewänder sich tiefer und dunkler tönten, und die haare unter der Haube und dem Kopftuch verschwanden, wie andererseits wieder die „Hoffart" einen Prunk in Gold lind Edelstein begünstigte, und die wunderliche Pluderhose siegreich heraufzog, alles dies wächst aus der Zeit heraus als eine äußerliche, aber unbewußte Begleiterscheinung fürstlicher und höfischer Gewalt. Das Volk als solches ist daran nur beteiligt, soweit es in der Stadt in den unmittelbaren Einflußkreis des Hofes geriet. Der Landmann folgt dieser Entwicklung erst in Alenschenaltern; hat er sie erreicht, dann ist die Ulode natürlich schon längst wieder eine andere geworden; sein heute war stehengebliebene Vergangenheit.
Freilich in den Städten lockt und zerrt die Versuchung auch kräftiger in den unteren Ständen als auf dem Lande, um den Reichen auch in der Tracht gleichzuscheinen. Jener Leineweber im Hemde, dem dieses ehrsame Gewand 1331 als zu dürftig verboten wurde, scheint f580 ausgestorben zu sein. Denn in diesem Zahre eifert Joachim II. nicht wenig gegen die Verschwendungssucht der Hausleute, Tagelöhner, Knechte und Alägde. Wenn diesen jedes seidene Gewand, ferner Perlen, Bändchen, Unzen Gold verboten wurden, dann mußten sie es wohl ziemlich arg getrieben haben. Und trotz dieser Epistel, die die Bewohner Berlins in vier Stände teilte, machte ihnen der, einem würdevollen Prunk allerdings nicht feindselige Fürst noch Konzessionen, indem er zu Zacken,