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sich -er einfache, schlichtgesinnte Friedrich Wilhelm I. -er wachsenden Verschwendung entgegenstellte, die sich namentlich bei den faltenreichen Tuchröcken geltend machte, und die im Linklange zur Allongeperücke stand. Auch er ging dabei zunächst von wirtschaftlichen Bestrebungen aus. Lin Ldikll) von 1 72 s suchte dem Luxus mit besonderer Berufung auf die durch ihn hervorgerufene Schädigung der Wollmanufakturen zu steuern, selbst mit der durchaus ernstgemeinten Drohung, daß den Dienstmädchen und „gantz gemeinen Weibes-Leuten" die seidenen Kamisols, Röcke und Lätze öffentlich auf den Straßen abgenommen werden sollten (Abb. 87 ).
Noch einmal leuchtete die ganze färben- und formenfreudige Trachtenentwicklung auf in der an Textilmanufakturen reichen Rokokozeit, dieser glänzendsten Lpoche eines prunksüchtigen Jahrhunderts. Sie schwebte aber wie eine Wolke über dem Volke, das erst dann von ihr etwas befruchtet wurde, als schon eine Wertherstimmung auf ihm lagerte. Denn schon zog ein neues Zeitalter mit ernsten, männlichen Gedanken und
Abb. 87. Berliner Trachten des ^8. Jahrhunderts. Nach Lhodowiecki.
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Anschauungen herauf, das der Perücke und dem Galanteriedegen keinen Geschmack abgewann. Der faltige Rock mit den Linsätzen und Beschlägen wurde verdrängt. Wo noch ein Rest von höfischem s)runk war, verschwand er — auch von den Höfen! — in dem sich überstürzenden Wandel der Napoleonischen Kriege, Mit eiserner Notwendigkeit und klarem Lrnste hatte das neue Jahrhundert vor allem den bunten Stoffen den Untergang gebracht, in der — sicherlich falschen — Erkenntnis, daß nun die Stände sich ausgleichen, daß die Unterschiede zwischen Reich und Arm, zwischen hoch und Niedrig verschkvinden werden, daß nun die Anschauungen des Königsbergers Immanuel Kant höhere Ziele als den äußerlichen Tand aufstellen müßten.
Das war ein Irrtum, weil er nicht mit der geschichtlichen Überlieferung, nicht mit den vielen Lcken individuellen Strebens rechnete, aber die läuternde Kraft einer solchen Gesinnung hatte doch die Blassen gepackt und den Sinn auf die Arbeit gerichtet, die allen Ständen ein Ziel gab. Mindestens ist bis in unsere Zeit hinein der Kleiderluxus von der Straße mehr in das Haus gedrängt, ist das stufenweise herabsinken ständischer Kleidermoden von oben nach unten, das immer mit einer Veräußer-
tz Bär IV, S. Hy.