Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
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hindert durch die Feldarbeit und durch die Kontrolle seitens der Dorfbewohner. Für wen sollte der Bauer auch stattliche Trachten anziehen? Doch nur für seine Genossen, die dafür aber nur in der Kirche Zeit und Sinn haben.

Wir haben demzufolge auf dem Lande eine sehr langsame Entwicklung der Tracht, die zudem noch durch Stehenbleiben infolge von Kriegen gehemmt wurde. Das bezeugt uns allein die Zeit, die zwischen der Entstehung des Berliner Totentanzes und dem 1 , 8 . Jahrhundert liegt, in dem wir zuerst eigentliche Volkstrachten wahrnehmen. Ob­gleich wir aus dieser langen Zeit eigentlich recht wenig wissen von der bäuerlichen Kleidung in der Provinz Brandenburg, so werden wir in der Annahme kaum fehl­gehen, daß sich hier nur wenig verändert habe. Auf einem hölzernen Wappenschild in pritzwalk, das vielleicht gleichaltrig ist mit dem Totentanz, trägt der bäuerlich ge­kleidete Wappenhalter dieselbe Tracht wie der Bauer des ersteren; nur der Kittel hat einen breiten offenen Halsausschnitt, hinter dem das Hemd hervorsieht; das Barett ist von einer Pelzmütze ersetzt?) Eine größere Veränderung trat erst nach dem Dreißig­jährigen Kriege ein, als die lange Hose etwas verkürzt wurde. So sehen wir die Bauern auf den Merianschen Städtebildern, die Füße in groben Schuhen und den Kopf mit einem breitrandigen Hut bedeckt. Das ist aber vielleicht nur Feierkleidung; in der Woche hat der Bauer wohl durchgängig bei der Arbeit seine holschen getragen, gegen die aus wirtschaftlichen Gründen sie machten den Schuhmachern einen erfolgreichen Wett­bewerbs eingeschritten wurde. Noch konservativer als die Nkänner waren auf dem Lande die Frauen. Der kurze faltige Rock ließ die derb beschuhten Füße frei. Eine kurze Zacke mit langen Ärmeln und das weitverbreitete altgermanische Kopftuch ver­vollständigten die Tracht, zu der bei älteren Personen noch ein langer, vorn offener Mantel kam. Eine besondere Schwierigkeit boten die Abendmahlstrachten: denn s68? verordnet das Konsistorium, daß die Pfarrer bei dem Abendmahl den Frauen, die die großen Ai ätzen trugen, sollten den Kelch in die Hand geben?)

Die eigentlichen örtlichen Trachten treten, wie überall in Deutschland, auch in der Mark Brandenburg erst nach dem Siebenjährigen Kriege bemerkbar auf. Jetzt tauchen der dreispitzige Hut, Schnallenschuhe, Gamaschen, die im allgemeinen schon während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. Verbreitung fanden, eng anliegende, kurze Hosen, die farbige Weste und der lange Rock in der Provinz auf. Da die Stoffe selbst noch im Hause erzeugt wurden, so konnten sie sich leicht bis in die Mitte des sst. Jahr­hunderts erhalten. Selbst die Biedermeierzeit mit ihren grundsätzlichen Wandlungen ist hier fast spurlos vorübergegangen. Was sich in der Mark an Spuren von Volkstrachten erhalten hat, weist übereinstimmend in die Zeit von s760 bis 1850.

Die märkische Trachtengeschichte ist reicher, als man es im allgemeinen glaubt. Keineswegs ist sie auf die wendischen Gebiete beschränkt. Es ist im Gegenteil sicher,

>) Oie linksseitig angebrachte Frau ist allerdings städtisch gekleidet. Es ist also immerhin möglich, daß auch der Mann einen Städter darstellt. Dann würde aber angesichts des Berliner Totentanzes nur bewiesen werden, daß in Pritzwalk städtische und bäuerliche Tracht noch sehr vieles gemeinsam hatten.

-) Bär VII, S. 27; XV, l88I, S. 227.

') Büsching, Reise nach Kyritz, S. 85.