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Russlands Landwirtschaft und ländliche Siedlungen in der Transformation / Hans Viehrig
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Wertanteil von Nahrungsmitteln vom eigenen Feld/Garten(LPH) zur Verfügung. In den Städten handelt es sich dabei um Produkte aus dem eigenen Garten oder Zuwendungen von Verwandten aus den Dörfern. Der Kauf von Konsumgütern und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, einschließlich ÖPNV nehmen in den Städten einen höheren Anteil an den Ausgaben ein. Gegenüber der Situation bei den ländlichen Haushalten sind in den Städten auch Sozialtransfers der Betriebe an ihre Beschäftigten in Naturalform(Gutschei­ne) zu berücksichtigen.

5 Die ländlichen Siedlungen Russlands in der Transformation

5.1 Wandlungen der ländlichen Siedlungsstruktur in den letzten Jahrzehnten der Sowjetunion

Schon in den letzten Jahrzehnten der Sowjetunion waren die ländlichen Siedlungs­strukturen starken Veränderungen unterlegen. Angesichts des deutlichen Entwicklungs­rückstandes des ländlichen Siedlungswesens und der notwendigen Modernisierung der Landwirtschaft erließ die Sowjetregierung 1968 eine Verordnung, die die Konzentration der staatlichen Infrastrukturinvestitionen auf so genanntePerspektivsiedlungen vorsah (vgl. STADELBAUER 1996, S. 314 ff.). Es handelte sich dabei jeweils um größere ländliche Siedlungen mit relativ bedeutenden Wirtschafts- und Verwaltungsfunktionen(Sitz der Dorfsowjets). Bewohner derNichtperspektiv-Siedlungen sollten zur Neuansiedlung in den erstgenannten Siedlungen veranlasst werden. In den folgenden Jahrzehnten vollzo­gen sich dann zahlreiche Umsiedlungen in die Hauptdörfer und die Aufgabe vieler Kleinsiedlungen. Nach LUCHMANOV(2001, S. 241) verringerte sich die Anzahl der länd­lichen Siedlungen zwischen 1959 und 1989 in Russland um fast die Hälfte, sie sank von 294 000 auf knapp 153 000 Siedlungen. Dazu trug auch besonders bis Mitte der 70er Jahre eine starke Abwanderung der Dorfbevölkerung in die Großstädte und Industrie­zentren bei. Im Altsiedelland der Zentralregion(Moskau) und in der Zentralen Schwarzerde-Region führte das beinahe zu einerEntleerung peripherer ländlicher Räume. Staatliche Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum(Nichtschwarzerde­Programm 1975, Lebensmittelprogramm 1982) brachten bei weitem nicht die ange­strebten Ergebnisse und mussten aus makroökonomischen Gründen abgebrochen werden, trugen aber dennoch zum Ausbau der ländlichen Siedlungskerne bei(STADEL­BAUER 1996, OVCINCEVA 2001, S. 1307). In Widerspiegelung der Konzentrations- und zugleich qualitativen Polarisierungsprozesse(LUCHMANOV 2001, S. 242) vergrößerte sich der Anteil der Großsiedlungen(> 500 Ew.) an der Wohnbevölkerung der ländlichen Siedlungen von 1959 52% auf 1989 68%(vgl. Abb. 5.1-1).

Nach dem Bestand von 1989 lebten in kleinen ländlichen Siedlungen(naselennye punkty) trotz der Konzentrationsprozesse immerhin noch fast ein Drittel der Dorfbevölkerung(vgl. Abb. 5.1-1, b). Andererseits besaßen fast die Hälfte der ländlichen Bevölkerung ihren Wohnsitz in Siedlungen mit> 1000 Einwohnern. Insgesamt blieben die Probleme in russi­schen ländlichen Siedlungsgebieten trotz Fortschritten in der Infrastruktur der Siedlungs­kerne ungelöst.

" Hier und folgend gemäß der in Russland gebräuchlichen statistischen und siedlungsplanerischen Praxis ohne die Städte und städtischen Siedlungen im ländlichen Raum.

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