Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
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scheinlich nicht viel, denn in der Auslösung des alten Handwerks strömten immer wieder Elemente hinein, die an diesen Formen einen besonderen Gefallen hatten. Neben den eigentlichen offiziellen Innungsgebräuchen, die gewissermaßen jede individuelle Regung zu unterdrücken suchten, waren es die großen Gewerksfeste, bei denen die Lebensfreude fast oppositionelle Wege fand. Derblaue Montag", dieser sprachlich noch nicht erklärte Bummeltag der Gesellen, hat im 18. und. Jahrhundert manche entrüstete Äußerung hervorgerufen, ohne an den Verhältnissen etwas zu ändern. Das Drechsler-Privilegium von 173H verbietet ihn, die Stadtverwaltungen bekämpfen ihn, und doch war er immer wieder da, weil er eben keine gesetzliche Einrichtung war und die Gesellenschaft stetig reizte, dem starren Herkommen ein Schnippchen zu schlagen. Der blaue Montag, der stellenweise auch als Tag der Morgensprache diente, war nur möglich in einer Zeit, in der sich der größte Teil des Lebenslaufes in einem engen Kreise bewegte, in der jeder irgendeinem festgeschlossenen Kreise angehörte, und einer den anderen kannte. Er verlor sich, sowie die Zunftordnung von neuen wirtschaftlichen Bewegungen hinweg­geschwemmt wurde.

Gewerksfeste. Mit größerer Zähigkeit aber erhielten sich die Gewerksfeste, die nicht nur die Meister, sondern auch die Gesellen vereinigten. Ehemals besaß jedes Ge­werk sein besonderes Fest, das in den meisten Fällen ursprünglich einen kirchlichen Hinter­grund hatte. Einige von diesen Festen haben aber doch auch größere Beteiligung ge­funden und sind für ganze Städte charakteristisch geworden. Freilich unterlagen auch sie der inneren Zwiespältigkeit, die zwischen dem ehemals würdevollen Berufsfest und dem Aufkläricht" einer realdenkenden Zeit bestand: der Kern entschwand, die Schale blieb und das Ganze endete häufig mit einer Verulkung. So ist das Mottenfest der Tuch­macher (das sich die Raschmacher in Lichtenberg bei Berlin zu einem Fliegenfest zurecht­gemacht hatten), im. Jahrhundert fast überall zu einem wüsten Trinkfest geworden, das sich im Schatten der Gewerksabzeichen entfaltete. Größere Bedeutung erwarb sich in Talau der Schusterzug, den die dortigen Gesellen am ersten Augustsonntag veran­stalten. Er knüpft an ein geschichtliches Ereignis an und sollte an Hans von Sagan erinnern, der mit den Schuhmachergesellen einen Ausfall aus dem belagerten Königs­berg i. Pr. machte und dabei ein Bein verlor. Unter Vorantritt eines Gesellen mit ge­zogenem Degen, zog der kostümierte Haufen durch die Stadt zu einer Herberge, um dort ein Tanzfest zu feiern. In dem Zuge befanden sich derAlte", dessen ansehnliche Krisen bei den Zuschauern stets Heiterkeit erweckten, und Haus von Sagan selbst, mit Dreimaster, Zopf, blauem Frack mit blanken Knöpfen, roter Weste und weißer Hose, sowie einem Stulpenstiefel mit Sporn und Säbel. Das andere Bein war, um den Verlust anzudeuten, weiß umwunden.

Mit besonderer Befriedigung erinnerte man sich bei den Festen gern geschehener oder vermeintlicher Heldentaten der Gewerksgenossen. Auch die Schlächter rühmten sich einer besonderen Heldentat im Kriege des Großen Kurfürsten gegen die Schweden, indem das Königsberger Gewerk ein ganzes Reitergeschwader wollte niedergemacht haben. Die Geschichte weiß nichts davon, tatsächlich aber haben besonders die Berliner Schlächter­meister das Vorrecht besessen und bis in die neueste Zeit hinein behauptet, bei den feier­lichen Einzügen der Landesherren an der Spitze und rittermäßig zu Pferde zu erscheinen.