135
scheinlich nicht viel, denn in der Auslösung des alten Handwerks strömten immer wieder Elemente hinein, die an diesen Formen einen besonderen Gefallen hatten. Neben den eigentlichen offiziellen Innungsgebräuchen, die gewissermaßen jede individuelle Regung zu unterdrücken suchten, waren es die großen Gewerksfeste, bei denen die Lebensfreude fast oppositionelle Wege fand. Der „blaue Montag", dieser sprachlich noch nicht erklärte Bummeltag der Gesellen, hat im 18. und Iß. Jahrhundert manche entrüstete Äußerung hervorgerufen, ohne an den Verhältnissen etwas zu ändern. Das Drechsler-Privilegium von 173H verbietet ihn, die Stadtverwaltungen bekämpfen ihn, und doch war er immer wieder da, weil er eben keine gesetzliche Einrichtung war und die Gesellenschaft stetig reizte, dem starren Herkommen ein Schnippchen zu schlagen. Der blaue Montag, der stellenweise auch als Tag der Morgensprache diente, war nur möglich in einer Zeit, in der sich der größte Teil des Lebenslaufes in einem engen Kreise bewegte, in der jeder irgendeinem festgeschlossenen Kreise angehörte, und einer den anderen kannte. Er verlor sich, sowie die Zunftordnung von neuen wirtschaftlichen Bewegungen hinweggeschwemmt wurde.
Gewerksfeste. Mit größerer Zähigkeit aber erhielten sich die Gewerksfeste, die nicht nur die Meister, sondern auch die Gesellen vereinigten. Ehemals besaß jedes Gewerk sein besonderes Fest, das in den meisten Fällen ursprünglich einen kirchlichen Hintergrund hatte. Einige von diesen Festen haben aber doch auch größere Beteiligung gefunden und sind für ganze Städte charakteristisch geworden. Freilich unterlagen auch sie der inneren Zwiespältigkeit, die zwischen dem ehemals würdevollen Berufsfest und dem „Aufkläricht" einer realdenkenden Zeit bestand: der Kern entschwand, die Schale blieb und das Ganze endete häufig mit einer Verulkung. So ist das Mottenfest der Tuchmacher (das sich die Raschmacher in Lichtenberg bei Berlin zu einem Fliegenfest zurechtgemacht hatten), im Iß. Jahrhundert fast überall zu einem wüsten Trinkfest geworden, das sich im Schatten der Gewerksabzeichen entfaltete. Größere Bedeutung erwarb sich in Talau der Schusterzug, den die dortigen Gesellen am ersten Augustsonntag veranstalten. Er knüpft an ein geschichtliches Ereignis an und sollte an Hans von Sagan erinnern, der mit den Schuhmachergesellen einen Ausfall aus dem belagerten Königsberg i. Pr. machte und dabei ein Bein verlor. Unter Vorantritt eines Gesellen mit gezogenem Degen, zog der kostümierte Haufen durch die Stadt zu einer Herberge, um dort ein Tanzfest zu feiern. In dem Zuge befanden sich der „Alte", dessen ansehnliche Krisen bei den Zuschauern stets Heiterkeit erweckten, und Haus von Sagan selbst, mit Dreimaster, Zopf, blauem Frack mit blanken Knöpfen, roter Weste und weißer Hose, sowie einem Stulpenstiefel mit Sporn und Säbel. Das andere Bein war, um den Verlust anzudeuten, weiß umwunden.
Mit besonderer Befriedigung erinnerte man sich bei den Festen gern geschehener oder vermeintlicher Heldentaten der Gewerksgenossen. Auch die Schlächter rühmten sich einer besonderen Heldentat im Kriege des Großen Kurfürsten gegen die Schweden, indem das Königsberger Gewerk ein ganzes Reitergeschwader wollte niedergemacht haben. Die Geschichte weiß nichts davon, tatsächlich aber haben besonders die Berliner Schlächtermeister das Vorrecht besessen und bis in die neueste Zeit hinein behauptet, bei den feierlichen Einzügen der Landesherren an der Spitze und rittermäßig zu Pferde zu erscheinen.