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Das ergreifende Lied gibt sich fast rein dialogisch und ist eben darum so lebendig. Fein kontrastiert das harmlose Kindertreiben der kleinen Geschwister mit dem tiefen Weh der Königstochter. Ihr Seelenschmerz glimmt lange nur wie unter einer Decke, bis in den letzten Worten die Flamme ausbricht. Wie wir das Lied gaben, ward es vor f804 von dem Berliner Schriftsteller F. I. Bothe, einem der frühesten Volksliedfreunde, in der Mark ausgezeichnet. Auch die reicheren westfälischen Fassungen entstammen erst dem l9- Jahrhundert. Uhland trug dennoch kein Bedenken, dies Lied seinen alten deutschen Volksliedern einzureihen; aus dem Jahre s583 ist später eine Fassung aufgefunden worden. Aber für das Alter zeugt schon die über die Grenzen Deutschlands hinausreichende Verwandtschaft des Liedes: sowohl der skandinavische Norden als der romanische Süden weisen nahestehende Lieder auf?)
Tragisch endende Liebe ist auch das Alotiv der Ballade von der „Schönen Jüdin". Die schöne Iudentochter liebt einen Christen; der verlangt die Taufe von ihr; das kann sie nicht gewähren und geht in den Tod. Dieser Inhalt ist in Brandenburg zumeist in eine Form gegossen, die den Einfluß der Ballade von den Königskindern erkennen läßt. In Adamsdorf bei Soldin in der Neumark ward das Lied f856 wie folgt gesungen (Erks Nachlaß 28, 33 °):
z. Ls war einmal eine Jüdin,
Lin wunderschönes Weib.
Die hatt' eine schöne Tochter, Ihre Haare war'n ihr geflochten, Zum Tanz war sie bereit.
2 . „Ach Mutter, Herzensmutter, Mein Köpfchen tut mir so weh; Laß sie mich eine Weile Spazieren in grüner Heide,
Bis daß es wieder vergeh!"
z. „Ach Tochter, Herzenstochter,
Das kann und muß nicht sein; wir wollen uns legen zu Bette Und schlafen um die wette.
Bis daß es wieder vergeh!"
H. Die Mutter die schlief ein,
Die Tochter aber nicht.
Sie ging wohl über die Straßen, wo Säger und Soldat saßen, Dem Säger auf seinen Schoß.
'>. „Ach Säger, liebster Säger,
Mein Köpfchen tut mir so weh.
Lassen Sie mich eine weile Erwärmen an ihrem Leibe,
Bis daß es wieder vergeh."
s. „Ach Südin, Herzensjüdin,
Das kann und muß nicht sein, wollen Sie sich lassen taufen,
Maria Magdalena sollen Sie heißen, Dann will ich Sie nehmen zum Weib."
7. „Ach Säger, liebster Säger,
Das kann und darf nicht sein.
LH' ich mich lasse taufen,
Viel lieber will ich ersaufen, wo's Meer am tiefsten ist."
8 . Da nahm sie ihre Kleider zusammen; Sns Meer sprang sie hinein.
„Ade Herzvater, Herzmutter,
Ade du stolzer Säger, wir sehn uns nimmermehr!"
Die Ähnlichkeiten mit der Ballade von den Königskindern springen in die Augen. Offenbar enthielt die Ballade von der Iudentochter von Jaus aus irgendein Gespräch zwischen Amtier und Tochter, wie es der Stoff nahelegt, und wie es kaum in irgendeinem Volksliede fehlt, in dem ein junges Kind in die Fährlichkeiten der Liebe gerät. An diesem
H Am ausführlichsten unterrichtet über den Stoff und seine Verbreitung Reifferscheid: westfälische Volkslieder S. iss.