Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
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teil neuerer und neuester Kunstdichtung für die Zeit um 1900 beträchtlich höher ansetzen müssen; denn gestiegen ist sicherlich der Einfluß der Schule und in den Städten der seit mehr als 100 Zähren bemerkbare Einfluß der Operette, der durch den Leierkasten (und gar das Grammophon) doch auch dem platten Lande sich abgeschwächt mitteilt. Auch vom Studentenliede her erfährt der Volksgesang immer wieder Bereicherungen. Arthur Kopp hat in Berlin sein Augenmerk auf die namentlich durch die Schule und die Stu­denten vermittelten, aber völlig aufgenommenen Kunstlieder gerichtet, und man erhält eine stattliche Liste, wenn man seine Mitteilungen zusammenstellt. Ich wiederhole hier nur, was auch nach meiner Beobachtung als rezipiert gelten kann: Von GoetheDas Heidenröslein"; von HöltyÜb immer Treu und Redlichkeit"; von KernerDer reichste Fürst" undWohlauf noch getrunken"; von HauffSteh ich in finsterer Mitternacht"; von UhlandIch hatt' einen Kameraden"; von HeineLoreley"; dann Frz. Kuglers An der Saale Hellem Strande" (1826); L. RollersEin Sträußchen am Hute" (1825); H. WagnersMuß ich denn, muß ich denn zum Städtle hinaus" (182^) ; W. Heys Weißt du wieviel Sternlein stehen" (1836). Daß aber das ältere Volkslied heute ganz vergessen sei, glaube ich nicht; eine heutige märkische Sammlung dürfte im ganzen ein ähnliches Bild der Mischung älterer und neuerer Lieder ergeben, wie die jüngste wissen­schaftliche Sammlung aus dem deutschen Süden, die Volkslieder aus der badischen j)falz von Elisabeth Mariage, vom Jahre 1902.

III. Das Rinderlied.

l. Selbständige Lieder und Reime.

Das Kinderlied ist heut derjenige Zweig am Baume der Volksdichtung, der noch am besten in Saft steht. Klag das Leben der Erwachsenen immer hastiger abrollen, Zeit und Lust zum Singen geringer werden; in der Kinderwelt bleibt das Bedürfnis so stark, wie es von altersher war. Noch drehen sich selbst auf den Schmuckplätzen Berlins, wäh­rend rings geräuschvoll und atemlos der Verkehr flutet, die Mädchen im Kreise und singenKlare, klare Seide". Hier gibt es auch kein Schwanken des Geschmacks: was vor Jahrhunderten dem Kinde genügte, erfreut es auch heut noch. Daß der Text mehr und mehr zersungen wird, der Inhalt dunkel und unsicher: das stört die Anspruchslosigkeit des Kindes nicht. Das Kinderlied lebt wesentlich von dem Reiz des Rhythmus, des Reimes und der einzelnen Bilder, die da an der Phantasie vorüberhuschen; daran hat das Kind sein Genügen. Vollends die das kindliche Spiel begleitenden Texte sind inhalt­lich anspruchslos, wie das Arbeitslied der Erwachsenen; denn hier ist die Tätigkeit die Hauptsache.

So erklärt es sich auch, daß Lieder, die auf einer gewissen Stufe des Zersingens angelangt sind und von den Erwachsenen allmählich abgesioßen werden, als Kinderlieder noch lebensfähig sind und sich vielleicht noch lange erhalten. Man hat solch Zurück­weichen von Volksliedern in den Kindergesang selbst bei ausgebildeten Balladen beob-

Vrandenburgische Landeskunde. Bd. Hl. 2^