Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1912) Die Volkskunde / von Robert Mielke [u.a.]
Entstehung
Seite
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2. Das Kuckucksspiel. Mehrere Kinder setzen sich in der Pause zusammen; ein Knabe Mädchen) nimmt eine Schiefertafel, schreibt die Namen der Spielenden senkrecht untereinander, und jeder bestimmt nun, wieviel Striche er haben will. Diese werden zu seinem Namen geschrieben, und nun beginnt das Spiel. Der Schreiber spricbt;

Lin Kuckuck aus dem Zaune saß,

Ls regnete, es schneite, und er ward naß,

Da kam ein warmer Sonnenschein

Ls müssen wohl 22 sein.

Er zählt auf jeden Strich eine Silbe, indem er von oben anfängt und die Striche durch­läuft. Der Strich, auf dem die letzte Silbesein" gefallen ist, wird ausgelöscht. Nom folgenden an wird weiter gezählt. Wer zuletzt noch allein Striche hat, hat gewonnen. Man hat für dasselbe Spiel auch noch einen anderen Text:

Kaiser Karl lNaroht Hatte kein Brot,

Schlug alle seine Soldaten tot.

Bei diesem Spiel beobachten wir das gleiche, wie bei dem Abzählvers von den drei Engeln: daß letzte Ausstrahlungen eines Mythos sich im Kinderliede verfangen. Das Kuckuckslied nämlich war ursprünglich ein Hochzeitslied mythischen Inhalts, der Kuckuck kein gewöhnlicher Kuckuck, sondern die Tierverwandlung eines Gottes (Thors?), der Fruchtbarkeit und Gedeihen spendet?)

IV. Lied und Volksbrauch.

Als im ausgehenden ltz. Jahrhundert ein neues Nerständnis für den Wert der Nolkspoesie unter den Gebildeten erwachte, richtete man anfangs das Augenmerk nur auf jene Lieder, die auch, losgelöst vom lebendigen Nolksleben, nach Art kunstmäßiger Buchpoesie genossen werden konnten. Erst der wunderliche schwäbische Enthusiast Friedrich David Gräter stellte das Nolkslied in den vollen Strom des Nolkslebens hinein und lenkte die Aufmerksamkeit auch auf jeue Lieder, die ohne Kenntnis von Sitte und Brauch gar nicht verstanden werden konnten. Das begründete dann auch für die selb­ständigen Lieder eine lebensvollere Auffassung; manäses schon von der Form ward durch sichtiger, seit man z. B. vom Wechselgesang zwischen Vorsänger und Thor erfuhr. Und man lernte verstehen, daß das erhöhte Daseinsgesühl, das frohe Feste mit alten, lieb gewordenen Bräuchen in das sonst einförmige Leben des Bauern hineintragen, mit poetischer Empfänglichkeit eng verschwistert ist.

In der Mark sind alte Nolksbräuche zwar stark im Schwinden, namentlich an den Mrten, die von den Ausstrahlungen der Großstadt erreicht werden. Doch hat man Reste auch noch in den letzten Jahren angetroffen. Die Wenden der Jahreszeiten, die Haupt- feste des Kirchenjahres und die Höhenpunkte des Arbeitslebens sind durch solcbe besonderen Gebräuche gekennzeichnet.

tz Siehe die gleichen Verse bei Reifferscheid, Westfälische Volkslieder Nr. g, und dessen Anmerkung.