Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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angerufen, genoß auch in der Mark weitverbreitete Verehrung; sie galt, da sie im Redekampf fünfzig Philosophen überwunden haben sollte, überdies als geborene Schutzherrin der Schulen. Da ihr im märkischen Teil der Brandenburger Diözese mehrere Kirchen und 18 Altäre geweiht waren, so nahm sie hierin ihre Stelle sogleich hinter der Maria. Den nächsten Platz belegte mit 1H Altären oder Kapellen St. Anna/) die die fromme Sage bekanntlich zur Mutter der Jungfrau gemacht hatte. Ihr Kult verbreitete sich beinahe plötzlich erst zu Ende des 15 . Jahrhunderts und wurde schnell in hohem Maße Mode. Und wenn der Annendienst auch als Ausfluß der innigen Verehrung für die Himmelskönigin zu gelten hat, die stets nach neuen Ausdrucksformen suchte, so mußte sich doch selbst der Marienkultus von dieser begeisterten Verherrlichung ihrer Mutter in den Hintergrund drängen lassen?) Die St. Annenkapellen, denen man in vielen märkischen Städten begegnet, lagen wohl meistens außerhalb der Mauern und waren Begräbniskapellen, zu denen man durch die Annenstraßen gelangte; denn die Heilige schätzte man wie als Hüterin der Gesundheit auch als Helferin im Tode. Dauernd hat sich seit jenen Tagen auch der Name Anna als beliebter weiblicher Name behauptet, und wenn er sich 1567 um Brandenburg unter 33 Frauennamen sechsmal vorfindet, so wird das Verhältnis auf dem Lande noch heute kaum anders geworden sein.

Geschätzt als Nothelferin war ferner die heilige Barbara, die bei Ge­wittern angerufen wurde und nach Erfindung des Schießpulvers bekanntlich Schutz­patronin der Artillerie geworden ist; siebenmal tritt sie im märkischen Herrschafts­bereich des Brandenburger Stuhles als Patronin von Altären aus.

Die Abtissin St. Gertrud war die vierte unter den gefeierten Frauen. Sie, die Tochter Pippins von Landen, hatte sich einst als Woh ltäterin der Armen den Heiligenschein ums Haupt gewoben, und in ihr versinnbildlichte sich daher ein großer Teil der kirchlich-mittelalterlichen Liebestätigkeit. Durch die Orden auch die Ritterorden wirkten ja in diesem Sinne war das Verständnis hierfür in die Mark verpflanzt; sie waren zuerst die Heger der Bedrückten geworden. Allein seit dem 13 . Jahrhundert wetteiferten auch Weltgeistliche und Laien mit den Mönchen auf dem Gebiete der Caritas, und es beginnt eine großartige Epoche von Hospitalgründungen; allerdings lag dazu ein gewisser Zwang insofern vor, als durch die Kreuzzüge der Aussatz eingeschleppt und ohne Spitäler die Verbreitung der ansteckenden und entsetzlichen Krankheit unausbleiblich war. Als mit dem Aufhören der Kreuzzüge die Seuche allmählich erlosch, öffneten sich auch die Hospitäler allge­meinen wohltätigen Zwecken, haben aber hier und da in späteren Pestzeiten wieder als Lazarette gedient. Selbst die kleinsten Städte besaßen damals Stiftungen solcher Art, und Orte wie Wusterhausen und Ruppin durften ihrer gar drei aufweisen, die selbst­verständlich vor den Toren der Stadt oder mindestens ganz abseits lagen.

1) Über sie vgl. besonders die Monographie von Schaumkell: Der Aultus der heil. Anna am Ansgange des Mittelalters. Freiburg i. B. MAS.

2) vgl. die St. Annen-Lieder bei hoffmann von Fallersleben: Gesch. des deutschen Airchen- liedes bis auf Luthers Zeit (Hannover tssh, Z- B. Nr. 290 und 29t. Zn der Mark scheint übrigens keines dieser Lieder entstanden zu sein.