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Das Streben, die Gegensätze zwischen ihrem eigenen reformierten Bekenntnis und dem lutherischen ihrer Untertanen zu überbrücken, war allen hohenzollernschen Fürsten eigen gewesen, und was im 17. Jahrhundert unmöglich schien und im 18. Jahrhundert trotz wiederholter Uniönsverhandlungen noch nicht hatte gelingen wollen, führte das 19- glücklich zum Ziele. Denn einmal hatte der Rationalismus das Trennende der Konfessionen stark verwischt, und andererseits neigten auch bekenntnistreue Kreise beider Richtungen einer Einigung zu, weil sie gemeinschaftlich am sichersten die rationalistische Herrschaft überwinden zu können meinten. So bot die 200jährige Jubelfeier der Reformation im Jahre 18s 7 dem Könige Friedrich Helm III. Gelegenheit, in seiner Eigenschaft als suminus episeopus der Evangelischen in Preußen durch Kabinettsbefehl die „U n i o n" der beiden protestantischen Konfessionen anzuordnen, die dann am Reformationsfest zu Berlin in gemeinsamer Abendmahlsfeier der lutherischen und reformierten Geistlichen zum Ausdruck kam. Die „Evangelische Union" opferte mehr von dem Standpunkt der Lutheraner als von dem der Reformierten, und als auch die vom Könige selbst ausgearbeitete gemeinsame Kirchenagende (1824) in diesem Sinne gehalten war, erhob sich auf lutherischer Seite Widerstand und führte schließlich zur Loslösung der „Altlutheraner". Leider ließ sich Friedrich Wilhelm zu Gewaltmaßregeln hiergegen verleiten, obschon die „Union" doch nur ein Friedenswerk sein sollte und auch eine Kabinettsorder von 1824 ausdrücklich den Rechtsbestand der Bekenntnisse innerhalb ihrer Bereinigung verbürgte; erst die „Generalkonzession" seines Nachfolgers von 1845 gewährte den Altlutheranern staatliche Anerkennung. In der Provinz Brandenburg sind sie nicht zahlreich, am stärksten außer in Berlin in der Uckermark, der Gstprignitz und einigen Bezirken des Regierungsbezirks Frankfurt; die Zählung von 1861 ergab wenig mehr als 10 000 Gemeindeglieder. Sie unterstehen dem altlutheranischen Gberkirchen- kollegium in Breslau.
Wenn die Altlutheraner sich gegen die unierte Landeskirche wandten, weil sie nach ihrer Ansicht das reine Bekenntnis verwischte und herabsetzte, so erwuchs der Landeskirche noch ein anderer Gegner aus dem umgekehrten Grunde, auf die Anklage hin nämlich, daß sich in ihr ein unmoderner, unfreier, starrgläubiger und pfäffisch- herrschsüchtiger Geist breit mache. Der Widerstreit von „positiven" und „liberalen" Elementen, wie wir sie heute zu bezeichnen pflegen, hat niemals in der Kirche gefehlt und wird ihr immer bleiben; allein in den „Lichtfreunden" der Prediger Uhlich und Wislicenus nahm die freiheitliche (Opposition gegen die Witte des vorigen Jahrhunderts doch einen bedenklich scharfen Lharakter an. In Magdeburg und der Provinz Sachsen zu Hause, griff die Bewegung natürlich auch in die Mark über, besonders als Uhlich im Juli 1845 in Rathenow einen von vielen Pastoren und Honoratioren des Havellandes besuchten und beifällig aufgenommenen Bortrag gehalten hatte. Die geistlichen und weltlichen Behörden schritten nun aber ein, und wenn sich vereinzelt in der Mark die „Lichtfreunde" zu „freien Gemeinden" zusammentaten, so flaute die Bewegung doch bald ab. Als man dann vollends gegen den kirchlichen Liberalismus wieder gelindere Saiten aufzog, fanden die meisten ihrer Anhänger den Weg zur