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Bürgerrechte, ohne freilich die absolute Gleichstellung mit den christlichen Bekenntnissen in allen staatlichen Rechten herbeizuführen; von Lehr- und Gemeindeämtern B. blieben sie ausgeschlossen. Bis zum Jahre 1847 besaßen auch ihre Gemeinden nur die Rechte erlaubter Gesellschaften nach dem Landrecht. Dann ward die preußische Verfassung von 1850 mit ihrer Bestimmung, daß der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte unabhängig vom religiösen Bekenntnisse sei, eine weitere wichtige Staffel auf dem Wege zur Iudenemanzipation; doch wieder fügte die Reaktion der 50 er Jahre Beschränkungen dieses allgemeinen Grundsatzes für die Juden ein. Erst das norddeutsche Bundesgesetz vom 3. Juli f86ß machte glatte Bahn und öffnete den Israeliten insonderheit das höhere Lehr- und Richteramt. Immerhin hat auch der preußische Staat zur Erhaltung seines christlichen Grundcharakters die jüdischen Kräfte nicht in dem Maße ihres Angebots berücksichtigt, und unter den akademischen Berufen haben diese sich schon deshalb mit Vorliebe den „freien", dem Arzte- und Rechtsanrvaltstand, zugewandt; in die Reihen des Heeres als Offiziere einzudringen, ist den Juden vollends bisher nicht gelungen.
Von Spaltungen ist das Judentum nicht verschont geblieben, und gerade Berlin hat hierbei immer eine starke Rolle gespielt. Im Aufklärungszeitalter entstand diejenige Richtung, die, vor allem durch Moses Mendelssohns Vorbild beeinflußt, Preisgabe der alten Sitte und Annahme zeitgemäßer, humaner Bildung und Anschauungen auf ihre Fahne schrieb; das „Reformjudentum" des fß. Jahrhunderts, das die Offenbarung der Schrift durch die der Vernunft ersetzen will, knüpft an sie an. Die orthodoxe altjüdische Partei stemmte sich heftig hiergegen, schuf sich im „Magazin für die Wissenschaft des Judentums" ein rühriges publizistisches Organ und im Berliner Rabbinerseminar eine einflußreiche Bildungsstätte. Schulter an Schulter fochten beide Richtungen in dem Kampfe für die Gleichstellung der Juden, der namentlich von den 30er bis zu den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts scharf in der Öffentlichkeit geführt wurde; vereintes Interesse verband sie gegenüber dem Antisemitismus, der am Ende der 70er Jahre den ungemein gewachsenen jüdischen Einfluß auf das öffentliche Leben Deutschlands einzudämmen suchte, und mit dessen Entstehung der Name des jüngst verstorbenen Berliner Hofpredigers Adolf Stöcker eng verbunden ist. Eine gewisse Zurückdrängung des Judentums ist dadurch unbedingt erreicht, vor allem aber durch Betonung des Rassengegensatzes ein Moment in den Kampf hineingetragen, das im Mittelalter hinter dem wirtschaftlichen weit zurückstand, heute aber bei der allgemeinen Schärfung völkischen Bewußtseins sich oft wirksamer als jenes zeigt.
Auch im Judentum trat, zum Teil infolge der antisemitischen Stellungnahme, solch ein nationaler Rückschlag ein; man kehrte das eigene Rassengefühl deutlicher und selbstbewußter hervor, legte sogar das Streben an den Tag, dem zerstreuten Volk wieder das zu schaffen, was ihm vornehmlich fehlte, eine Heimat und, wenn möglich, einen nationalen Staat. So entstand der „Zionismu s", der sich „Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk" als Ziel gesteckt hat. Der religiöse Gedanke, so führte einmal die „Welt", das zionistische Hauptblatt, aus, habe im Judentum des fß. Jahrhunderts Schiffbruch erlitten, aber eben dadurch sei die Bahn freigeworden für den Sieg des neueren nationalen Ge-