Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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Was der Rahmen der Stadtverfassung für die mittelalterlichen Gewerbe als Gesamtheit, das war für das einzelne Gewerbe feine Innung oder Zunft. Über die Entstehung der Zünfte im deutschen Kolonialgebiete kann es Zweifel kaum geben. Sie sind wenigstens für die Hauptgewerbe jeder Stadt gleich bei ihrer Gründung als wesentliche Werkzeuge ihrer Verwaltung, als städtische Ämter an­gelegt worden. Das hervorragen einzelner Zünfte bezeichnet deutlich den gewerb­lichen Zustand der Städte und damit ihr Wirtschaftsleben überhaupt. Für die Frühzeit der märkischen Städte tritt sehr sichtlich ein allgemeiner gewerblicher Typus heraus. Er beruhte auf der Bildung einer in spätere Jahrhunderte fortdauernden Aunftaristokratie durch die wichtigsten Bekleidungs- und Nahrungsmittelgewerbe. Wie in Berlin, so sonderten sich auch anderwärts zunächst die Tuchmacher und Schuster, die Schlächter und Bäcker alsViergewerke" aus dem Ganzen der Zünfte ab: Die erste Stufe der Gewerbeentwicklung, der rohesten Bedürfnisbefriedigung dienstbar und eigentlich nur durch Intensität und Organisation über die Ur­produktionen erhoben, auf denen sie doch völlig fußt. Erst die durchaus nicht zu

Abb. 5 <. Siegel der Ber­liner Schuhmacher 1-^2.

erhoben sich dann in der Wechselwirkung mit Land- und Wasserhandel die eigentlichen mittelalterlichen Großindustrien der Mark, die Brauerei und der Gewand schnitt. Ihr Emporkommen erforderte zuerst in der Gewerbegeschichte die rücksichtslose Anwendung stadtpolitischer Machtmittel. Gerade wie das große Gärungsgewerbe, wahrschein­lich selber durch die Ausdehnung des bürgerlichen Grundbesitzes hervorgerufen, durch die Unterdrückung der ländlichen Brauereien mächtig wurde, wußte der Tuchhandel seine Urform, die Tuchmacherei, in die Rolle eines untergebenen Vorbereitungs­und Teilgewerbes mit Entschiedenheit hinabzustoßen. Die Gewandschneiderzünfte insonderheit wuchsen dann weit über den Betrieb eines Spezialgewerbes hinaus und wurden mehrfach im mittelalterlichen Deutschland die kapitalkräftigsten Leiter von Industrie und Handel überhaupt. In Stendal umfaßte mindestens seit s23s eine Gilde die Kaufleute und die Gewandschneider. Durch das schiffahrtspolitisch früh ausgebildete Elbsystem waren die altmärkischen Städte vor denen der übrigen märkischen Landschaften in den hansischen Vst- und Nordseehandel unmittelbar ein­bezogen. Die Salzwedeler findet man schon t263 als Teilhaber des gotländischen Hansekontors zu Wisby. Aber wenn auch Berlin und die östlichen Städte für ihre gewerblichen Erzeugnisse und Kapitalien mit den kürzeren Handelswegen bis nach

unterschätzende Kapitalansammlung in diesen Betrieben kann das Fortschreiten der Bürgerschaften zum Grunderwerb und zum Großhandel mit den landwirtschaftlichen Rohstoffen des Kolonialbodens möglich gemacht haben. Daß sowohl in Berlin als in Frankfurt am Anfang des t4. Jahrhunderts gegen ein halbes hundert Fleischbänke bestand, soviel wie Ende dieser Periode die großen Hansestädte Lübeck und Danzig zählten, ist für jene Blütezeit des märkischen Städte­wesens sicher das Symptom nicht innungspolitischer Über­produktion, sondern wirklich erstaunlichen Verbrauchs. Auf der Schulter von so kräftigen Gewerben der örtlichen Märkte