Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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des Zunftwesens über ganze Landschaften. Interlokale Verständigungen von Zünften müssen wohl auch für die Periode der eigentlichen geschlossenen Stadt- wirtschaften angenommen werden. Den kaufmännischen Verabredungen der Hanse wenigstens sind gemeinsame Beratungen und Beschlüsse der zugrunde liegenden Gewerbeorganisationen in den verschiedenen Städten sehr häufig an der Leite ge­gangen. Zu solcher Festigkeit jedoch vermochten sich diese Einigungen nicht zu ent­wickeln, daß sie als neue Verfassungsform des Gewerbes die verfallenden Städte hätten beerben können. In der Mark vollends schnitt die territoriale Wirtschafts­politik der Landesherren jede derartige Möglichkeit ab. Aus dem mächtigen Auf­schwung der Textilgewerbe in der lausitzischen, schlesischen und sächsischen Nachbar­schaft war für Brandenburg höchstens mittelbar durch Gewinnung gewerblicher Einwandrer Nutzen zu ziehen. Sonst erzeugte die wirtschaftliche Nebenbuhlerschaft dieser Gebiete auch bei den Zünften lediglich Feindseligkeit. Wohl bestand zwischen den Tuchmachern von Frankfurt und Brandenburg auf der einen und denen von Breslau, Bautzen und Fraustadt aus der andern Seite eines der berühmtesten Zunft­kartelle. Aber auch ohne die Eifersucht der Regierungen auf alle den territorialen Rahmen überschreitende Privatinitiative wäre so ein Verband zu positiven Leistungen gänzlich unfähig geblieben. Was gewollt wurde, war allein die künstliche Über­tragung des zünftlerischen Drucks aus weitere Flächen. Das Widerspruchsvolle solcher rein reaktionären Polizeianstalten enthüllte sich dann bald. Die berüchtigte Lissaische Fehde der Tuchmachergroßinnung, in der nicht einmal die Märker geschlossen auf einer Seite waren, hat schließlich ein Hauptmotiv für die Zunftreformen Aönig Friedrich Wilhelms I. abgegeben.

Das Prinzip aller älteren Gewerberesorm war gewesen, durch Beeinflussung der Stadtverwaltungen, also örtlich und großenteils mittelbar, auf die Organisation des Gewerbes in den Innungen einzuwirken. Erst Ende des 17 . Jahrhunderts versuchte der erste brandenburgische Premierminister, Eberhard von Dunkelmann, die in seinen Händen vereinigte Summe von Staatsgewalt auch für die gewerbepolitischen Verhältnisse des Territoriums direkt und allgemein ins Spiel zu bringen. Seine Wirkungen waren ziemlich unbeträchtlich. Was gehörte aber dazu, größere zu er­reichen, wenn es die Regierung jahrelange Verhandlungen kostete, in den fünf Berliner Stadtgemeinden die stadtwirtschaftliche Vereinzelung wenigstens sachlich durch über­einstimmende Innungssatzungen zu überwinden. Die neue Regierung Friedrich Wil­helms I. wandte dann aber gleich in ihrem ersten Jahrzehnt dasselbe Werkzeug zentraler Staatsbeeinflussung zu einer wirklich einschneidenden Reorganisation der Gewerbeverwaltung, indem sie das vornehmste Organ der neuen Landesverwaltung, die Kriegs- und Domänenkammern, an Stelle der Justizbehörden mit Aufsichts- und Entscheidungsbefugnissen in allen grundsätzlichen Gewerbe- und Innungsangelegen- lMen betraute. Und diese Änderung des formellen Gewerberechts rief sogleich sehr bedeutende im materiellen hervor. Dort war das dringendste Problem die Arbeiter­frage geworden. Auch seinen sozialen Beruf, die Klassen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf einer nahezu gleichen Ebene patriarchalischer Gesellschaftszu­stände in Eintracht zu halten, hatte das verfallende Innungswesen völlig verleugnet.