Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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Je mehr die technischen Zunftregeln im Verlaufe der Entwicklung einen Sinn gesell­schaftlicher Exklusivität und Prätention erhielten, je mehr der primitive Kapitalis­mus der Meister in überbürgerlichen Gewohnheiten und Einrichtungen, wie Tuar- talsfesten, Ahnenproben und dergleichen ein prunkendes Herrenbewußtsein zu äußern begann, desto riesiger mußte mit der Zunahme der Bevölkerung in der gewerblichen Produktion, ganz wie zur selben Zeit in der landwirtschaftlichen, die besitzlose Masse der unselbständigen Wirtschaftspersonen anwachsen. Auch die Mark Brandenburg bekam in Erlebnissen, wie den Berliner Ausständen der Seiler- und der Grobschmiede­gesellen s7f6 und t73t, die Unruhe dieser Gesellschaftsfundamente zu fühlen. Im N)esen des werdenden Kapitalismus liegt es indessen, daß fast jeder Versuch zur Er­leichterung des Proletariats durch die halb unbewußte Konsequenz aus der gegebenen Lage neue unvorgesehene Verschlimmerungen nach sich zieht. Aus der Enge der zünftlerischen Arbeitsverhältnisse schien ein sehr glücklicher Ausweg in die neuere Betriebsform der Massenarbeit unter der Leitung einzelner, überwiegend kaufmän­nischer Unternehmer oder Verleger zu führen. Die Regierung Friedrich Wilhelms I. beeilte sich zunächst für einige hauptsächliche Großindustrien, die in Holz, Leinen, Leder und Metall, durch Aufhebung der beschränkten Gesellenzahlen diese Ausbil­dung zum Großbetriebe zu unterstützen. Auch die Generalzunftprivilegien der dreißiger Jahre sind voll von Bestimmungen, die den gewerblichen Arbeitsmarkt im Sinne geordneteren Angebots und reichlicherer Nachfrage beeinflussen wollen. Die Begrenzung der Lehrlingshaltung hatte von jeher einen ganz andern Sinn als die geschlossenen Gesellenzahlen. Lehrlingszüchtung schuf ja vielfach erst die Arbeiter­mengen, deren Unterbringung als Gesellen die Schwierigkeit ausmachte. Diese Über­schwemmungsquelle mußte auch weiter beaufsichtigt werden. Hatte das Zeugmacher­reglement von f?23 die Zahl der Lehrlinge durch ein höchstes Verhältnis zu den Be­triebsmitteln, einen auf zwei bis drei Stühle, zu binden gesucht, so schrieben nun die Generalprivilegien in der Regel vor, daß hinter zwei bis drei Gesellen nicht mehr als ein solcher Gesellenaspirant stehen dürfe. Eine andere Gefahr von Proletari­sierung der gewerblichen Arbeiter bestand in der übermäßigen zunftstatutarischen Ausdehnung der unselbständigen Arbeitsjahre. Jetzt wurden wenigstens die Lehr­jahre bis zum Gesellen allgemein auf drei normiert, und nur Sonderbedingungen des Betriebes oder Arbeitsmarktes konnten für einzelne Gewerbe längere Termine begründen: vier Jahre bei Gold- und Kupferschmieden, Perückenmachern, Seifen­siedern, Tuchscherern und Müllern, fünf bei Glasschneidern, Großuhrmachern, Posa­mentierern und Seidenwirkern, endlich gar sechs bei den Berliner Woll- und Seiden­färbern und den Schornsteinfegern. Der künstlichen Verengerung der Meisterkreise selbst sollten andere Bestimmungen beikommsn oder abhelfen. Die festen Meister­zahlen der Innungen, diegeschlossenen Mittel", wurden grundsätzlich abgeschafft und nur ganz wenigen Gewerben unter besonderen Umständen, wie den Fleischern in Berlin und den Bäckern der kleineren Städte, weiter zugestanden. Diese innere Befreiung wurde unterstützt durch den Ausbau derjenigen Mittel, durch die die Ver­waltung von außen auf den Schlendrian des Zunftwesens zu drücken vermochte. Das älteste waren die großen, vornehmlich jährlichen Märkte, auf denen schon im frühen