Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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wünschenswerten Rückwirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion sehr stark gedacht wurde. Durch diese Politik wurde die Leidenerzeugung der rheinischen Territorien mit der ausländischen gleich gesetzt, der einheimische Leidenhandel als Kommissionär des Auslandes" von der Unternehmung ferngehalten. Von vorn­herein war die Regierung darauf angewiesen, wo nicht juristisch, doch ökonomisch selber als Unternehmerin aufzutreten: Das Fabrikendepartement des Generaldirek- voriums vermittelte das erste Arbeiterangebot, bestehend aus sächsischen, holländischen, französischen Kolonisten und neu Zugewanderten, dieselbe Behörde mußte in schwie­rigen persönlichen Verhandlungen mittlere und kleine Kapitalisten, meist Detail­händler, zur Übernahme der Unternehmung bewegen. Die Bevölkerungskreise dieses ersten Unternehmertums werden durch die Namen der beiden ersten märkischen Leiden­fabrikanten gut bezeichnet: Es waren der Franzose Tharles Vigne, der in Potsdam Gobelins, und der Jude David Hirsch, der in Berlin Lamt fabrizierte. Me im modernen Europa allgemein der Vertrieb und die Erzeugung von Luxuswaren, so war in der Mark und in Berlin besonders die feine Gewebeindustrie der Arbeitsplatz des jüdischen Kapitalismus und damit die Grundlage seiner Bedeutung in Wirtschaft und Kultur der Gegenwart. Im Leben Moses Mendelssohns drängt sich dieser neuere Entwicklungsgang seines Volkes gleichsam symbolisch auf die Leistung einer und derselben Generation zusammen. Der Knabe, der in Berlin nur nach dem An­schluß an eine Lchutzjudensamilie geduldet worden war, wurde als Buchhalter und späterer Teilhaber der Firma Bernhard Isaac einer der vornehmsten Führer der märkischen Leidenindustrie er war es, der in ehrlicher Erkenntnis dieser not­wendigen Abhängigkeit vom Auslands den ersten Großbezug von Rohseide unmittel­bar aus Italien anregte und organisierte, ehe seine Persönlichkeit und sein Haus ein erstes Beispiel jüdischer Geistesaristokratie in Preußen sein konnten. Unter den etwa 20 Großfirmen, die beim Tode Friedrichs des Großen diese seine Lieblings­industrie beherrschten, zeigen Namen wie Moses Ries, Israel Marcus, von Halle, Gardemin und Friedländer, Bont6 und Lcherf, Platzmann und Laurier, Stumpf und Favreau, Laspeyres und Matthies den andauernden Vorrang der beiden fremdbürtigen Bevölkerungsanteile, des jüdischen und des koloniefranzösischen. Zu diesen einzelnen Unternehmungen nun stand der Staat in einem sehr eigenartigen Verhältnis. Es ist einmal, nach Einführung der Regie beinahe zu einer großen Zentralisation ge­kommen: Der französische Intendant machte den Vorschlag der Kartellierung von einem halben Dutzend der größten Leidenhäuser. Der Mißerfolg dieses planes zeigt sehr klar, daß die Regierung die Produktion in gewissen Grenzen des Umfangs und der Vereinzelung erhalten wollte. Beschäftigte vor der großen Krise der sechziger Jahre von insgesamt etwa anderthalb Tausend Stühlen der Betrieb von Gotzkowskys Schwiegersohn T. F. Blume als stattlichster etwa f50, so erreichten in den siebziger Jahren Girard und Michelst mit 220, Gebr. Baudouin mit 230 die Höchstzahlen unter einer Gesamtmenge von noch nicht 2000 Stühlen. Man hat berechnet, daß der Staat zur Unterstützung einer Produktion, die während ihrer besten Zeit in den acht­ziger und neunziger Jahren aus 3000 bis 4000 Stühlen mit etwa 12 000 Arbeitern einen jährlichen Durchschnittswert von 2 bis 3^ch Millionen Talern erzeugte, im ganzen

Brandenburgische Landeskunde. Ld. H. '26