Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1910) Die Geschichte / von Gustav Albrecht ...
Entstehung
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§02

2 Millionen, also schlimmstenfalls den Wert einer Jahresproduktion aufgewandt habe. Die Wege dieser Zuwendungen waren ihrer wirtschaftspolitischen Art nach zum Teil dieselben wie bei der Protektion anderer Gewerbe, nur für den dringenden Zweck riesig erweitert. Vor dem Siebenjährigen Kriege wirkten mit einem 6 bis 25 ^ igen Schutzzoll auf Seidenwaren Exportprämien von H bis 8 zusammen, danach Einfuhrverbote mit Bonifikationen, die anfangs nach Stühlen (je 25 Taler), dann in Prozenten der Erzeugung (s775: 8, s795: s) verteilt und durch spezielle Prämien für die Frankfurter Meßausfuhr (s77s: H A) ergänzt wurden. Der Weg­fall der Bonifikation im Jahre s80s war sicherlich die Hauptursache für das Sinken der Stuhlzahl von (s?96) fünftehalb auf (f802) wieder wenig über dreitausend. Zu den handelspolitischen Vorteilen fügte die eigenartige Initiative des Staats in dieser ganzen Industriekolonisation große Vorschüsse von umlaufendem und festem Betriebskapital aus Magazinen und andern Staatsmitteln. Fabrikräume hat die Regierung nur ganz selten, wie in Frankfurt und Töpenick, für Unternehmer gebaut. Allein das erklärt sich aus der vorherrschenden Verfassung der damaligen Textil­gewerbe, der hausindustriellen. Und damit ist ein weiterer wichtiger Gegenstand der Staatstätigkeit in der Seidenindustrie angerührt. Die Stellung der Regierung als einer Art von Generalunternehmerin ermöglichte ihr hier noch mehr als sonst auch eine Beaufsichtigung des Arbeitsverhältnisses. Teils betraf sie unmittelbar das Ge­schäftsgebaren der Unternehmer, so wenn ihre Privilegien ihnen in der Regel will­kürliche Einschränkungen ihrer Produktion untersagten. In der Hauptsache aber mußten die alten Rechtsformen des zunftmäßigen Gewerbebetriebes hier wie allent­halben der Vrdnung von bereits kapitalistischen Produktionsvorgängen dienen. Auch die Seidenindustrie wurde s766 unter ein besonderes Zunftreglement gestellt, das zwar sachlich die modernen Muster der holländischen und französischen Industrie nament­lich in der Betriebskontrolle durch Schaumeister wiedergab, organisatorisch jedoch an die alte Handwerksverfassung anknüpfte. Zwischen Unternehmern und Arbeitern wurde grundsätzlich ein Stand von Gewerbemeistern erhalten, von denen auf je vier Stühle immer einer kommen sollte. Mit der handwerklichen Ausbildung von Lehrlingen rechnete die Festsetzung des Maximums von höchstens einem auf dieselbe Stuhlzahl. Die zünftigen Arbeiter genossen mit zweimonatlichem Uündigungsrecht eine größere Bewegungsfreiheit als die freien mit fechsmonatlichem. Arbeitszeit und Arbeitslohn unterlagen wenigstens der tatsächlichen Vermittlung der Staatsgewalt. Die erste war in den neunziger Jahren mit f4 Stunden immerhin zwei oder drei kürzer als die der Lyonnaiser Seidenarbeiter. Die Wochenlöhne bewegten sich zur selben Zeit zwischen Zich und 7 Talern. Erst wo am Ende des Jahrhunderts die Er­zeugung neuer Modewaren, wie in der Bandindustrie, mit Maschinen für einzelne Prozesse, wie Filatur und Appretur, die Fabrikarbeit zuerst in größerem Umfang sich einbürgerte, blieben die Anzeichen einer Proletarisierung der Arbeiterschaft nicht aus. Noch im Todesjahr Friedrichs des Großen mußte sein Polizeistaat erleben, daß sich die Seidenbandarbeiter in Krawallen gegen den Lohndruck durch Einführung von Frauen- und Kinderarbeit erhoben. Wiewohl sie dabei das Generaldirektorium auf ihrer Seite hatten, ging doch schon im Verlauf des nächsten Jahrzehnts der