Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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ein Franziskaner, denen aber die Marienkirche nicht gehörte; daher ist zu vermuten, daß auch dieser Franziskaner nach dem Vorbilde kopiert ist. Zwischen 1463 und ungefähr muß also das Vorbild im Besitze der Franziskaner gewesen sein; alle diese Bedin­gungen treffen, nach Wilhelm Seelmanns Ausführungen, für Hamburg zu, das in dieser Zeit in der Maria-Magdalena-Kirche einen Totentanz besaß. Aber die Reihenfolge und Anordnung der menschlichen Stände im Berliner Gemälde weist eine sonst nirgends wiederkehrende Besonderheit auf, die wohl eine Erfindung des Schöpfers gewesen ist: in den übrigen Totentänzen beginnen Papst und Aaiser den Reigen, und die übrigen Stände folgen nach Maßgabe ihrer Würde; in Berlin jedoch macht der Aüster den Anfang, und ihm folgen von links nach rechts zunächst nach aufsteigendem Range, wenn auch ohne peinliche, genaue Durchführung dieses Grundsatzes, die geistlichen Würdenträger, deren letzter der Papst ist. Darauf beginnt, durch ein Aruzifir getrennt, der Aaiser mit der Aaiserin den Reigen ... im absteigenden Rangverhältnis geht es über den Aönig, den Herzog, den Ritter zum Narren und Ainde. Diese Anordnung enthob den Maler der Notwendigkeit, zu entscheiden, ob um die Terminologie des Mittelalters zu gebrauchen dem geistlichen oder weltlichen Schwerte die erste Stelle gebühre. Einem besonderen Umstande mußte dabei aber noch Rechnung getragen werden: die linke Abteilung der Turmhalle, in welcher sich der Totentanz befindet, war früher durch keine Mauer von dem Kirchenschiffe geschieden; für das Werk standen also nur zwei Zeiten zur Verfügung . . . beide Wände würden im rechten Winkel Zusammenstößen, wenn nicht die Innenseite desselben durch einen Eckpfeiler ausgefüllt wäre. Der Altar, der urkundlich für diesen Raum belegt ist (1409 überweist Kurfürst Friedrich dem von ihm neu begründeten Dom­stift die Einkünfte desunter dem torne" belegenen Altars des heiligen Sigismund), kam vor den Eckpfeiler zu stehen, da die Wände für den Totentanz frei sein mußten. Diese Unterbrechung des Reigens ward sehr geschickt umgangen: am Eckpfeiler über dem Altare ist Christus am Areuz mit Maria und Johannes dargestellt und bildet so zugleich ein Altarbild und einen Teil des Totentanzes. Aber auch innere Gründe rechtfertigen diese bedeutungsvolle, auffallende Stellung und die Einreihung des Kruzifixus: so waren geistliche und weltliche Stände derart geschieden, daß der sterbende Christus, zwischen Papst und Kaiser gestellt, zur vornehmsten Figur des Ganzen, zum geistigen und künst­lerischen Mittelpunkte wurde; denn nun ist auch der Gottessohn Teilhaber am Todes­reigen . . . freilich ihn holte nicht der Tod, er starb freiwillig für die Menschheit:

Vor juw mut ik dragen van scharpen darne enen krantz

Kamet al met my an den dodendantz!

Seet wu ik vor juw leet den bittren doet!

Der Berliner Totentanz ist unmittelbar auf den Wandstuck gemalt, muß also in Berlin selbst geschaffen worden sein; die das märkisch-berlinische i aufweisenden Reime sprechen dafür, daß der Dichter aus der Mark stammte, also vielleicht ein Berliner Aleriker war. Von dem Maler läßt sich nur so viel sagen (auch das gehört hierher, da Wort und Bild eine untrennbare Einheit darstellen), daß er an einigen Stellen, wie Korrekturen und Veränderungen zeigen, Anstoß an diesem i nahm; das scheint darauf hinzudeuten, daß er aus einer der Mark benachbarten Stadt oder Landschaft nach Berlin gekommen ist.