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Es wurde also der Berliner Totentanz nach gemalt und gedichtet; daß er vor dem letzten Jahrzehnt des sä. Jahrhunderts entstand, wird durch die Orthographie wahrscheinlich. Mit dieser Annahme stimmt auch der Zug künstlerischen Formgefühles, der durch die Bilderreihe geht, das bemüht ist, möglichst jeder einzelnen Gestalt eine Prägung zu geben, im Gegensätze zur sonst üblichen puppenhaften und hölzernen Schablonisierung der Figuren.
Dem ausgehenden Mittelalter gehören ihrer poetischen Form nach die uns erhaltenen historischen Volkslieder der Mark an. Diese epische Dichtungsart ist so alt wie unsere Geschichte; nach dem Berichte des Tacitus waren hundert Jahre nach des Arminius Tat und Tode unter den Germanen Heldenlieder verbreitet, die des Heros Gedächtnis nie erlöschen ließen; die gewaltigen Anspannungen und Entladungen von Kräften der Gesamtheit und des Einzelnen, die die Völkerwanderung bedingte und her- vorbtachte, setzte solche immer unpersönlich bleibende künstlerische Betätigung weiter fort; die bald ins Mythische emporgesteigerten Erscheinungen eines Karl des Großen und mancher sächsischer und staufischer Kaiser boten hier neue Nahrung und neue Quellen.
Im Norden Deutschlands, wo ein historischer Sinn sich stärker entwickelte als in mittleren oder südlicheren Gegenden, hat es frühzeitig einen reichen Schatz solcher Lieder gegeben: während im allgemeinen das Gesetz und die Beobachtung gilt, daß im Mittelalter neue literarische Bewegungen vom Westen und Süden Deutschlands ihren Ausgang genommen haben, hat sich Volksepos und Volkslied — als eigene Literaturgattung — zunächst im Norden gebildet. Bereits für den Anfang des sZ. Jahrhunderts lassen sich für die nördlichen Gebiete des Reiches historische Volkslieder Nachweisen, zu einer Zeit also, wo im übrigen Deutschland das Heldenepos romanischen Ursprunges herrschte. Freilich ist nur wenig davon erhalten ; viel ging durch den Dreißigjährigen Krieg unter, und die Einblattdrucke boten auf ihrem wohl immer schlechten Papier einer Zerstörung und einem Zerfall nur wenig Widerstand. Auch brachte man überall diesen volkstümlichen Dichtungen wenig Interesse entgegen, die Bildungsperiode des Humanismus mußte ja solchen Erzeugnissen, die von so ganz anderen Voraussetzungen ausgingen, wesensfremd gegenüber stehen. Dagegen stand man in Wittenberg, das sich ja aus einem religiösen Vorort immer mehr zu einem allgemein-geistigen Mittelpunkte entwickelte, nach Luthers Vorgang dieser Dichtungsart wohlwollend gegenüber, so daß z. B. Historiker, die dort studiert hatten, solche Verse, die in durchaus nicht unberechtigter Weise für sie einen Quellenwert hatten, in ihre Werke aufnahmen und dadurch für ihre Erhaltung sorgten.
Sieben historische Volkslieder, die inhaltlich und wohl auch formal die Mark an- gehen, sind überliefert
1) Übersetzungen von einigen dieser Lieder finden sich in der außerordentlich seltenen Zeitschrift Deutsche Blätter für Poesie, Literatur, Kunst und Theater. Herausgegeben von K. Schall & K. von Holtei,
11. April 1823, Nrt. . 57; drei brandenburgische Volkslieder, herausgegeben von Leopold Haup
Der Tod Herzog Casimir IV. von Pommern.
Herzog Casimir in dem Rathstuhl saß, Und als er hin vor Königsberg kam,
Er dacht' auf's allerbeste, wohl vor die hohe Feste;
wie er vor Königsberg wollte ziehn, Da war ein Schuhknecht frisch und frei,
Wohl vor die hohe Feste. Der that das allerbeste.