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Diese historischen Volkslieder1) sind in erster Linie als Dichtungen zu betrachten, ihr Wert als geschichtliche Berichte kommt erst an zweiter Stelle; es sind frei erfundene Darstellungen des schaffenden Volksgeistes, wobei es gleichgültig ist, ob zufällig der Autorname — und nichts als dieser — genannt wird; das „Ziel des Interesses, der Held und Mittelpunkt der Handlung" haben sich bei dem Werdeprozeß selbständig gebildet, wobei unter Umständen der Tatbestand eine mehr oder weniger beträchtliche Umbiegung erfahren kann. Die im allgemeinen niederdeutschen Sprach formen der genannten Lieder weisen für die Zeit der überlieferten Fixierung in das 16. Jahrhundert. In der Mark wie auch im übrigen Norddeutschland sind zwei Strophenformen für derartige Erzeugnisse zu beobachten: eine Strophe von fünf Zeilen, von denen sich die erste und zweite und die dritte und fünfte reimen, während die vierte Zeile ohne den entsprechenden Reim bleibt, sowie eine Strophe von vier Zeilen, von denen sich nur die Zeilen 2 und 4 reimen. Zur letzteren Form gehören die Lieder vom Kremmer Damm, von den Auitzows und vom Herzog Kasimir; die übrigen weisen die fünfzeilige Strophe auf. Die eben genannte Schilderung des Sieges über die Tuitzows zeigt noch in ihrer Strophenform eine besondere Gliederung, die folgendes Schema darstellt und die damit auf leise Spuren eines Einflusses der Kunstdichtung deutet:
a a a b c c c d d d d c f f f e
Das Charakteristikum einer sprungweisen Darstellung ist besonders auffallend bei dem Liede des Herzogs Kasimir von Pommern; einzelne Redewendungen, die eben erst gebraucht wurden, werden in der nächsten Strophe wieder ausgenommen. Hier sind die letzten Strophen dichterisch am wirksamsten: zu dem Frohlocken des Verfassers, der sicherlich ein Märker war und daher in der tödlichen Verwundung des Pommernherzogs eine göttliche Strafe für das Auflehnen gegen den Markgrafen von Brandenburg sehen mußte, gesellte sich ein gewisses Mitleid mit dem junger, Fürsten, der so früh ins Grab sank. Es ist das einzige im großen und ganzen intakt überlieferte historische Volkslied, das insbesondere die Neumark aus dem Mittelalter besitzt.
In dem Liede, das den Kampf zwischen Schivelbein und Belgard, also auch Streitigkeiten zwischen Märkern und Pommern schildert, ist der Text derart „aus den Fugen gegangen", daß man nur noch den Rhythmus, kaum den Reim und den Strophenbau gar nicht mehr erkennen kann; hier liegt also ein Beispiel vor, wie erzählende Volkslieder sich in Prosa auflösen, sobald das Interesse am Inhalte durch nachfolgende, wichtigere Begebenheiten in den Hintergrund gedrängt werden.
Von etlichen anderen Liedern kann ich hier nur einige Proben geben; auf das
1) Vg l. über sie die Arbeiten von H. Pie per, Brandenburgia, Bd. 6, 1897/8, S. 545 /359.
— Mitteilungen des Uckermärkischen Museums- und Geschichtsvereines, Bd. 2, 1904, S. 89/,,2.
— Schriften des Vereins für die Geschichte der Neumark, Bd. ,9, 1906, S. 79/92. — Außerdem gehört noch hierher: R. v. Liliencron, Historische Volkslieder der Deutschen, Bd. I, Nr. 24, S. 84/86 sowie A. Fr. Riedel: Zehn Jahre aus der Geschichte der Ahnherren des preußischen Königshauses, 1851, S. ,64/8.