Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
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Neben den bisher charakterisierten Zeugnissen und Überbleibseln einer Dichtung in deutscher Sprache stehen in der Mark, wie in allen deutschen Landschaften, mehr oder weniger poetische Schöpfungen in lateinischem Gewände. Gleichzeitig tauchen diese beiden Zweigeliterarischen" Schaffens aus dem Dunkel der frühesten Geistesgeschichte auf, bis schließlich, durch die kirchlich-gelehrten Strömungen um das Jahr (500 bedingt, die Weltsprache des Lateinischen zeitweise fast die Oberhand gewann und erst allmählich wieder versiegte. Noch ist die Erkenntnis nicht überall durchgedrungen, daß zu einer deutschen literaturgeschichtlichen Betrachtung auch die eingehende Berücksichtigung jener an Ausdehnung ungeheueren Produktion in antiken Formen des Verses und des Ausdruckes gehört; noch ist hierfür nicht einmal die nötigste Vorbedingung einer restlosen sprachlich-grammatikalischen Durchdringung und Erkenntnis des Stoffes erfüllt worden.1)

Von den sächsischen Mönchen, welche ins Havelland einwanderten, um das Kloster Lehnin zu bauen, von den Domherren, welche zu Havelberg auf dem Berge der slawischen Gottheit Gerowit ihren Wohnsitz aufschlugen und die beide sicherlich lateinische Verse geschmiedet" haben, führt über eine Fülle von Alltags- und Gelegenheitsstrophen die Entwicklung zu der 1506 gestifteten Universität in Frankfurt a. O., welche der Mittel­punkt aller gelehrten Bildung und Bestrebungen in der Mark naturgemäß war. Die Fähigkeit, in antiken Metren sich mühelos und gefällig auszudrücken, lernten dort an trefflichen Beispielen und Mustern Schulmänner und Geistliche des Landes, so daß über Berlin und Brandenburg im (6. und (7. Jahrhundert eine wahre Flut solcher Opera hereinbrach. Nur weniges ragt nach dichterischem Inhalt und künstlerischem Werte über ein beträchtliches Mittelmaß hinaus; am Ende des 17. Jahrhunderts sind dann alle diese Erzeugnisse von der pietistischen Bewegung mit ergriffen worden und gänzlich verflacht. Formal freilich zeigen alle diese Carmina, Poemata, Epigrammata, Versus memoriales usw. eine erstaunliche, oft geradezu virtuosenhafte technische Handhabung und Beherrschung der verschiedensten Versmaße, während das lateinische Idiom mancher-

1) Wilhelm Scherer hat bereits 1874 von diesen Notwendigkeiten gesprochen (in einem AufsatzZur Geschichte des lateinischen Dramas im 16. u. 17. Jahrhundert" in J. M. Wagners Archiv für die Geschichte deutscher Sprache und Dichtung, S. 1):

Deutsche Leistungen in lateinischer Poesie und Prosa sind ein ganz wesentlicher Teil unserer Literatur, von dem frühen Mittelalter bezweifelt das niemand . . . wie kläglich vernachlässigt erscheint uns dagegen die lateinische Poesie des 16. Jahrhunderts. Mag sein, daß ihr poetischer wert nur gering ist; die Zeit hat doch einen großen Teil ihrer Kraft daran verbraucht, und es ist billig, daß wir ihre Leistungen wenigstens einiger Beachtung würdigen. Was dabei herauskommt, können wir noch gar nicht ahnen. Ich glaube, die Poesie Dpitzens weit besser zu verstehen, seit ich etwas von dem lebhaften Wetteifer in lateinischer Versifikation kenne, der an der Universität Frankfurt a. d. O. gegen Ende des is. Jahrhunderts herrschte.

Dreißig Jahre später aber konnte h. Michel in seiner Monographie über Heinrich Knaust (1903) noch schreiben: Es sollte allgemach selbstverständlich sein, daß zu der deutschen Literatur auch die auf deutschem Boden entstandenen Erzeugnisse in lateinischer Sprache gehören. Viel und wesentliches hat sich seitdem auf diesem Gebiete leider nicht geändert.

Vgl. über die lateinische Dichtung in der Mark die beiden Aufsätze von Oskar Schwebel, die sich beide stofflich und inhaltlich stark berühren: Der Bär, Bd. 12 , 1885/6, S. 449/52, 462 / 4 ; Renaissance und Rokoko, 1884 , S. 14 / 47 . Zu vergleichen ist hierfür auch der kurze Aufsatz von W. Priebatsch: Märkische Bibliotheken im Mittelalter in: Zeitschrift f. Bücherfreunde, III, 1, S. 105/8.