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Ein anderes Geschlecht kam herauf; schöpferische Geister, die aus Berlin selbst hervorgegangen waren, brachten den großen Umschwung und leiteten von dort und von Jena aus den Strom der neuen starken geistigen Bewegung nach Deutschland hinein, sie formten auch das Leben um und gaben der Stadt bald ein anderes geistiges Gesicht. War das Wesen der Aufklärung die Herrschaft einer rein verstandesmäßigeil Auffassung des Seins, ein Wange! des historischeil Sinnes gewesen, so rangen sich im Gegensätze dazu iil der Romantik seelische Verfeinerungen und Vertiefungeil empor, die das von der vorhergehenden Generation Geschaffene völlig in den Schatten stellen mußten, wenn nun auch die Häupter der Romantik von Geburt aus Wärter waren, so fehlt der Zauber der Romantik doch in der Wark fast völlig; die Wesenszüge des Volkstumes, wie sie sich herausgebildet hatten und wie sie ihre literarische Ausprägung immer wieder erfuhren, ließen sich nun nicht mehr umwandeln und ummodeln. Ludwig Deck, der Sohn eines Berliner Seilers, und W H. Wackenroder, der Sohn eines Berliner Bürgermeisters, führteil für diese Stadt und mit den beiden Schlegels für Deutschland die neue Bewegung herauf, setzten an Stelle der Aufklärung die Versenkung in die farbige Vorzeit, den Glanz und die Fülle vergangener deutscher Tage und Menscheil, das Spiel mit dem Wärchen, bald auch mit einer nicht immer natürlichen und echten Lebensironie. Wackenroder liest im Garten zum Hofjäger im Berliner Tiergarten Decks lange Briefe aus Halle; von Berlin aus wird durch eben diesen Wackenroder die Schönheit Nürnbergs entdeckt, an dem der Berliner Ästhetiker Sulzer so wenig wie Klopstock etwas Besonderes hatten finden können. Ende Wai s800 kam Jean Paul nach Berlin/) vom Herbst bis zum Juni s80t folgte ein zweiter Aufenthalt, im Wai dieses Jahres heiratete er daselbst Karoline Waier, die Tochter eines Obertribunalrates. Jean Paul erweiterte in Berlin nach seinem eigenen Zeugnis seine Menschen- und Lebenskenntuisse, er gewann tiefere Einblicke in politische, soziale, gesellschaftliche Verhältnisse: „Berlin ist mehr ein Weltall als eine Stadt, ein oder ein paar Universa warf es mir an den Kopf; müde aus Weimar, werde ich in Berlin durch Weiber erquickt und durch männliche Trivialität ermattet." Gleim schrieb aus ehrlicher Überzeugung: Ist denn keiner da, der dem Aönig sage, Jean Paul Friedrich Richter müssen wir in Berlin festhalten?
Die Frage verhallte ungehört; eine Domherrnstelle, die für ihn vom Könige erbeten ward, erhielt er nicht, dafür wurde sie dem „vielschreibenden Lieblingsunterhalter der Damenwelt", August Julius Heinrich Lafontaine, zuteil.
Die Romantik bildete auch, eine Lebensform, sie schuf den Typus des Berliner Salons. Den Übergang von den Häusern und Versammlungsorten der Aufklärung bildete der Salon der Herzogin von Kurland hm Gebäude der heutigen russischen Botschaft Unter den Linden); von hier ans traten Madame de Staöl und 1>ie schönere Schwester der schönen Hausfrau, Elisa von der Recke, ins Berliner literarische Leben. Dessen Mittelpunkt ward bald Rahel Levin, Varnhagen von Enses Gattin, graziös, eigenartig, sprunghaft, scharf und schalkhaft; neben ihr standen Henriette Herz und andere an Bedeutung und Wirkung zurück. Das produktive Element dieser Kreise war Varn-
st pgl. ck- I- 5chi»idt, Jean j>m>l in Lerlin; in „Oer Bär",
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