Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
Seite
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Hage», kein Dichter von Geblüt, aber ein ausgezeichneter Prosaiker/) ein Meister der ge- sellschaftlichen Rede, ein sanguinisches Temperament, in dessen ganzem Wesen ein eigen­tümliches weibliches Element beinahe den Ton angab; Rahels fast männlicher Geist hatte unbewußt mit dazu beigetragen, diese rezeptive Richtung seiner geistigen Art zu ver­stärken. Er war ein scharfer Beobachter, der einen geglätteten, polierten Stil schrieb, ein vorzüglicher Biograph, der, was ihm an Kraft, Tiefe und (Originalität abging, durch Vorzüge der Form geschickt zu verbergen und zu ersetzen wußte. Ein wechselvolles Leber war ihm in jungen Jahren beschieden gewesen: der geborene Rheinländer studierte Arznei Wissenschaft in Berlin, gewann durch einen Hauslehrerposten manche gute persönliche Be Ziehungen; nach dem Feldzuge von s80st folgten Reisen nach Paris, zum Wiener Kon­greß und schließlich eine Tätigkeit als Minislerresident in Karlsruhe. Er sah die Mon­archie Friedrichs des Großen zusammenbrechen, sah die Freiheitskriege mit ihrer Reaktion und den Demagogenverfolgungen, die Julirevolution und die Berliner Märztage mit ihrem Sturz der absoluten Monarchie. Der ursprüngliche Anhänger Voltaires suchte dann den Anschluß an die Romantiker; der eifrigste Verehrer Goethes, sein Statthalter auf Erden, wie Laube sagte, sympathisierte mit dem jungen Deutschland; der Jünger Lessingscher Toleranz neigte sich dem pietistischen Ainzendorf zu, und der Günstling Metternichs jubelte bei der Revolution. All diese feindlichen Gegensätze wußte Varn- hagen mit bewunderungswürdiger Kunst zu vereinen und zu versöhnen. Auch die Gesell­schaft, die sich bei Rahe! und nach ihrem Tode im Jahre s8S2 in deren Geiste bei ihm versammelte, war aus gleichen Gegensätzen zusammengesügt: Der Ministerpräsident psuel traf dort mit Lassalle zusammen, der freisinnige Redakteur Bernstein mit dem aristokrati­schen Verfasser reaktionärer Romane Sternberg, der katholische Fürst Hatzfeld mit dem jüdischen Prediger Sachs, der frivole Fürst Pückler-Muskau mit dem ernsten Historiker Steffens, der indiskrete Anekdotenerzähler Vehse mit dem zugeknöpften Geheimen Lega­tionsrat von hänlein. So war Varnhagen der geeignete Vermittler der verschiedensten Strömungen im politischen wie geistigen Leben der Residenz.

Dem jungen romantischen Geschlechts aber und der Berliner Poesie brachte Adal­bert von Ehamisso") zu dem jüdischen den französischen Blutstropfen, der sich von da an immer wieder verfolgen läßt, und der das literarische Antlitz der Stadt so mannigfach beeinflußt hat. Der geborene Lothringer, der nie ganz frei und akzentlos das Deutsche gesprochen hat, war einer der volkstümlichsten Dichter der Deutschen,beinahe in allem der Typus dessen, was wir unter einem deutschen Menschen denken"; er ward es durch die Kraft geistiger Wahlverwandtschaft. Dieses Leben über den Rassen ist nur ein Stück einer viel umfassenderen Lebensleistung; er schritt inmitten der stärksten Offenbarung romantischen Geistes zur Fassung, Ordnung und Tätigkeit: darauf beruht die Stellung des Dichters und Menschen Ehamisso in unserer Literatur. Der romantische Versdilettant fand den Boden der Wirklichkeit in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Botanik,

st vgl. die beiden Aufsätze von Max Ring, Der letzte lit. 2 alon in Berlin, inBerliner Leben", 1882, g. 77/1 m, und inBeiträge zur Kulturgeschichte von Berlin; Festschrift der Korporation der Buchhändler", 18Z8, S. 77/Zs.

vgl. die ausgezeichnete Lharakteristik Lhamissos von I. Lab in der Österreichischen Rundschau vom t-Januar 1912, 2 . -10/Z.