Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
Seite
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im Dienste der Wissenschaft zog ihn an. war für Preußen kein besonderer Anlaß zu militärisch-patriotischer Begeisterung gegeben, denn es hielt sich von der rechtzeitigen Bekämpfung Frankreichs im zweiten Koalitionskrieg zurück; andererseits war die fran­zösische Fremdherrschaft noch in weiter Ferne. So riß ihn an des Jahrhunderts Wende nichts aus seinem selbsterzieherischen Streben. Und doch fühlte Kleist sichunaufhörlich gemartert" durch den Zwiespalt der eigenen Menschlichkeit und der pflichtmäßigen Strenge des Gffiziers; so hat gerade der Dichter in ihm aus derartigen Erlebnissen später den größten Nutzen gezogen. Als Kleistnicht aus Unzufriedenheit, nicht aus Mangel an Brot, nicht aus Spekulation auf Brot" umsattelte, konnte er nicht voraussehen, welches Schicksal seinem Preußen bestimmt war, konnte er nicht ahnen, daß sein inneres und äußeresGlück" durch das allgemeine Unheil mit würde zermalmt werden; ebensowenig konnte er ahnen, daß aus solchem Miterleben der vaterländischen Zustände ihm sein Bestes und Herrliches erwachsen werde: seine beseelte Vaterlandsdichtung.

Kants Erkenntnislehre entwurzelt ihm sein idealistisches Streben und läßt ihn die Gelehrsamkeit fliehen; in einem Aufenthalte in Paris sucht er diese tiefste geistige Er­schütterung zu verwinden, ringt dann einhalb tausend Tage lang titanisch mit einem neuen dramatischen Stil und vernichtet schließlich das Werk, den Guiscard, mit den: er Goethe den Kranz von der Stirn reißen wollte. Verzweifelt und durch sein eigenes Urteil gedemütigt, kehrte er in die Heimat zurück und nahm ein bescheidenes Anfangsamt in Königsberg an. Der Staatsgedanke wie das Vaterlandsgefühl haben bei ihm in all der Zeit, bei so vielen Regungen, Reisen, Wandlungen und Umwertungen keine Rolle gespielt. Beides wird aber mit dem Wachsen Napoleonischer Anmaßung und Macht in ihm lebendig. Er nimmt am Ende des Jahres s805 mit Entschiedenheit Stellung zu den politischen Dingen um ihn her und denkt an greifbare Mittel zur Abwehr; der Grundzug seines Wesens, alles oder nichts, treibt ihn zu einem allerdings nicht einwandfrei erwiesenen plan, Napoleon zu beseitigen. Auf jeden Fall nahm er an den Be­mühungen und Bestrebungen nach einem Zusammenschluß Preußens und Deutschlands, um die Fremdherrschaft abzuschütteln, eifrigst teil; die halbjährige Gefangenschaft in Tbalons im Zähre 1 807 ließ sein Gefühl immer mehr erwachen; in seinem Dichten lvfaßte er sich noch nicht mit politischer Zeitlichkeit. Auch die Dresdner Zeit nimmt ihn mit unpolitischen Dingen fast ganz in Anspruch; während aber nun die Werke seiner innerlich bereits abgeschlossenen Weltbürgerzeit allmählich bekannt werden Amphitrvon, Der zerbrochene Krug, Penthesilea, der Anfang des vergeblich noch einmal angepackten Robert Guiscard beginnen die bewußt deutschen Dichtungen Kleists zu entstehen.

Den Romantikern bleibt das Verdienst, im Gegensatz zu Goethes antikisierender Altersweise die Welt des vaterländischen Fühlens erschlossen zu haben. Dazu kam, daß das letzte Wesen der Romantik, die Wirklichkeitsslucht, tief in Kleists Natur begründet war; die ebenso echt romantischeZerrissenheit" seines Wesens ward dadurch bedingt, daß ihn auf der anderen Seite ein elementarer Trieb zur Wirklichkeit beseelte, der ihn zu dem grandiosen Tharakteristiker unserer dramatischen Dichtung machte. Und dieser Trieb begann sich auf vaterländische Angelegenheiten zu richten; in dem einen Dresdner Jahre 1808 vollbrachte Kleist nicht weniger als drei seiner Werke, die alle in Deutschland spielen:Das Käthchen von Heilbronn",Michael Kohlhase",Die Hermannsschlacht".