Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
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Diesenaturalistische" Kunst weist in ihren Wlwzeln, bei Ibsen und Zola, wie bei den deutschen Nachfahren und Nachahmern eine peinlich-sorgfältige Beobachtung und Abschilderung der Umwelt und des äußeren Gehabens der Personen auf, die sehr im Gegensätze zu dem konventionellen Bühnenstücke und Romane und der hergebrachten Lyrik stand und das Publikum zunächst verblüffte, ja ängstlich machte. Die literarische Produktion des Tages entsprach dem pseudo-materialistisch-denkfaulen Geiste der Zeit, den Anforderungen derbesseren Gesellschaft", die im Buch und vor der BühneEr­holung" suchte. Die hohle, gehaltlose Konversation des Salons, Verwicklungen, die keine seelischen oder geistigen Konflikte waren und sich so mechanisch lösen ließen, wie sie geschürzt waren, eine Dosis von Sentimentalität und Phrase, als Grundzug ein kulturprotziger Optimismus, in technischer Hinsicht den Augier, Dumas, Sardou, eng­lischen Romanvorbildern und eigener Goldschnittlyrik nachgeahmt doch ohne den Esprit" der Franzosen, der sachlichen Geschlossenheit der Engländer: solche Mischungen füllten die Theater und machten sich in epischen wie lyrischen Werken aller und jeder Art breit ... die großen Konsequenzen des echten Materialismus, den pessimistischen Determinismus, die Hilflosigkeit des allenthalben beengten Individuums wollte man nicht fühlen. Vom äußeren und inneren Leben des Kleinbürgers und Proletariers wollten die oberen Kreise weder im phantasiebilde des Buches und in der szenischen Nach­schöpfung auf den Brettern nichts wissen; aber gerade die seichte Tharakterlosigkeit dieser besseren Kreise" war zum weitaus größten Teile daran schuld (rein ästhetische Er­wägungen liefen nur nebenher), daß das Ringen und Aufwärtsstrebe?! der sozial Ent­erbten als das menschlich interessantere Stück des Lebens die Augen einer jungen Dichter­generation in Deutschland auf sich zog, die bei Ibsen und Zola vorher technisch in die Schule gegangen war und noch ging; daß sich dieser Prozeß zu seinem wesentlichsten Teile in Berlin vollzog, ist eine Folge allgemein-politischer wie großstädtischer Verhältnisse, deren Werden und Notwendigkeit oben angedeutet wurde.

Mb von diesen beiden Seiten her eineneue Richtung" in der deutschen Literatur zustande gekommen wäre selbst wenn dafür Parallelerscheinungen aus früheren Jahr­hunderten leicht aufzuweisen sind, bleibt fraglich; nach meiner Meinung sind die großen Wandlungen in unserer Dichtung immer durch die Wandlungen des deutschen Geistes hervorgerufen worden, der nach neuen Ausdrucksmitteln suchte. Hier handelte es sich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts um den endgültigen Durchbruch des pessimistischen Weltgedankens unter der Nachwirkung Schopenhauers und unter dem Einfluß Eduard von Hartmanns zu einer Zeit, als von anderer Seite her ein metaphysischer oder ethischer Ausbau des anders begriffenen Weltgebäudes bereits erstrebt wurde. Es kam eine Generation, die nicht gleich Zola die Last des Ererbten und der Naturnotwendigkeit der Anpassung als eine gegebene Größe hinnahm, sondern die unter solchen Erkenntnissen und Tatsachen litt; die meisten der jungen Leute, die am Ende dieses Jahrzehntes in dem DichtervereineDurch" in Friedrichshagen bei Berlin sich zusammenfanden, hatten in Jena die Schule Häckels durchgemacht und standen unter dem Einflüsse seines biogenetischen Grundgesetzes. Mußte aber der einzelne die ganze Hinterlassenschaft der Gattung in mehr oder minder abgekürzter Form in sich aufnehmen , und seinerseits wieder nur ein gleichgültiges Glied in dieser Kette bilden, was war dann