— 351
ständnis angelegte Natur, war Rodenberg aber der Mann, um „seiner Nation das noch unbekannte Vergnügen einer Zeitschrift im Geschmqcke der französischen Rsvus äs äeux moinZss zu geben"- — wie Goethe TIavigos Idee glücklich umschreibt —; nach zweimaligen Ansätzen im Deutschen Magazin und im Salon begründete er 1874 die Deutsche Rundschau und vollbrachte damit eine für die deutsche Literatur und für das Geistesleben überhaupt bedeutungsvolle Tat, gleichsam ein erster Ausdruck dafür, wie Berlin nun in Zukunft berufen sein sollte, literarisch-intellektuelle Kräfte an sich zu ziehen. Zn einer Zeit, die die Horm verachtete, wurde hier, in einer groß angelegten und geleiteten Rundschau, die Überlieferung der künstlerisch gepflegten Prosa aufrechterhalten; hier ward in einer Zeit, als man den Inhalt unterschätzte, Gottfried Keller sein literarisches heim bereitet; hier wurde, nachdem die fortschrittlich-radikale Populärphilosophie der helmholtz, Du Bois-Revmond und haeckel Platz gesunden hatte, das religiöse Bekenntnis der Enrika lhandel-Mazzetti den norddeutschen Lesern vermittelt; hier stand neben Wilden- bruchs Pathos T. H. Meyers künstlerische Kühle: das alles charakterisiert den Herausgeber mit seinem festen, manchen Dingen gegenüber einseitigen Urteile und seinem menschlichen Wohlwollen. Noch einer anderen Leistung Rodenbergs ist hier zu gedenken, seiner Bilder aus dem Berliner Leben, Genrestücken aus der älteren Stadt und Spaziergänge durch die neue, auf denen sich, oft Haus für Haus oder in einzelnen Straßenzeilen wie Unter den Linden zusammengefaßt, den nicht Einheimischen und Eingeborenen die Geschichte des Gemeinwesens offenbart, dessen Bürger er geworden; an diese Bände knüpfte Wildenbruch mit seinen bekannten Worten an: „Sie kennen das Porträt holz- schuhers von Dürer im Berliner Museum? Sie wissen, daß sich im Auge des Alten Nürnberg mit seinen Türmen spiegelt? Nun sehen Sie — im Auge Rodenbergs würden Sie etwas Ähnliches entdecken, das alte Berlin würden Sie sich darin spiegeln sehen." An die Gestaltung der Gründerzeit, von der hier zunächst ausgegangen wurde, rührte Rodenberg nur leise in der Geschichte von Klostermanns Grundstück; Friedrich Spiel- Hagen, auf den hier noch einmal zurückgegriffen werden muß, hat in der Darstellung dieser Epoche seinen besten Zeitroman geliefert: die Sturmflut 1876 bietet in glücklicher, kräftiger Symbolisierung das Bild einer verheerenden Flut an der Ostseeküste als Gegenstück zu dem Krache, der über das Gründertum hereinbrach, und belebte das vom Goldräusche erfaßte und durchwühlte Berlin mit einer Hülle von Gestalten, hinter denen der eigentlich romanhafte Einschlag vorteilhaft zurücktritt.
Mit wenigen Worten und Hinweisen nur muß hier die „Berliner Kleinkunst" abgetan werden. Gewiß waren hier starke märkische Wurzeln und Ursprünge vorhanden, die von Angel? und Glaßbrenner her über das jüngere Geschlecht des Kladderadatsch in dem Allgemeinen Deutschen Reimvereine ausmündeten. Johannes Trojan z. B. gehörte diesem Kreise mit an, der als behaglicher Betrachter alles Kleinen Dinge des Augenblickes, wie sie ihm das Straßenbild Berlins auf Schritt und Tritt bot, in oft redseliger Weise schilderte: „den Droschkenkutschernachmittag wie die Wahlmannswahl, das Grasschweinchen im Blumenladen wie die zweite Kastanienblüte und den blumen- - geschmückten Balkon einer der kinderreichen Straßen im Osten der wachsende» Riesenstadt." Ihm ähnlich, nur ohne den gelegentlich bei Trojan vorkommenden gallig- drastischen Beigeschmack der Laune und Meinung, ist Heinrich Seidel, der Dichter der