Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
Entstehung
Seite
352
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alten Berliner Bororte, als sie noch durch Ackerfelder und Wälder von der Hauptstadt ge­trennt waren, in deren Bezirk sein anspruchsloser, liebenswürdig-freundlicher Held Leberecht Hühnchen wohnte. Freilich besaß der Erbauer der Halle des AnhaltenBahnhofes, der als dritter Dichteringenieur neben Max Eyth und Max Maria von Weber Karl Marias Sohn tritt, als Poet so gar nichts vom Rhythmus der rastlosen Zeit, von dem künst­lerischen Sinn und Wesen der Technik, aus der Adolf Menzel im Bilde des Eisenwalz­werkes ein Werk von Ewigkeitsgehalt schon deswegen schuf, weil er hier Formel und Symbol zugleich geben konnte. Zarte Linien, formell und inhaltlich in gleicher Weise, waren des Mecklenburgers Seidel typische Kunst; er lehrte, wie die Großstadt Behagen bergen kann, ob nun die Familie Hühnchen bei bescheidener Bowle in bescheidener Laube in Steglitz sitzt oder ob die Kinder in der nördlichen Gartenstraße sich das kostenlose Ver­gnügen leisten, die sanften Regentropfen des Abends mit offenem Munde auszufangen. Ähnliche Stimmungen versuchte der jung verstorbene Königsberger Walther Gottheil P86085) in seinen Berliner Märchen darzustellen und wiederzugeben, in denen auch die Tierwelt und Blumenbeete des Tiergartens eine Rolle spielen, als Ausdruck des Behagens am Idyllischen, das diese Kleinmeister der Schilderung alle liebten. Auf die Typen des Kladderadatsch und damit bis zu Glasbrenners Familie des Rentiers Busses geht schließlich des Holsteiners Julius Sünde, der seit >87t> in Berlin lebte, bekannte Wilhelmine Buchholz zurück und schließt damit eine ganz bestimmte Entwicklungslinie spezifisch Berliner Literatur. Künstlerisch freilich war Sünde eine beschränkte Natur, die stets den einmal gestalteten Menschen wiederholte und nicht imstande war, Einflüsse der Umgebung oder der veränderten Lebenslage in ihrer Wirkung auf den Tharakter zu entwickeln und zu schildern.

Hier ist die Stelle, in dieser Darstellung die Gesamtpersönlichkeit Theodor Fontanes (s8s9H8)h zu würdigen als den zweiten eigentlich märkischen Dichter, der in epischen Schöpfungen fest im Boden seiner Heimat wurzelte, ohne im eigenen Bewußtsein, wie zu zeigen sein wird, den Zusammenhang mit dem romanischen Heimatlande der Vor­fahren zu verlieren. Der Verfasser der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, als stofflich-geschichtliche Quelle und als gestaltetes Kunstwerk gleich wichtig und wertvoll, ist durchfreie Lust und Berührung mit dem Volkstume" zeitlebens der biedere Neu- ruppiner geblieben, der in die Hauptstadt seiner Provinz eingewandert war und dort nun durch fast zwei Menschenalter staunend miterlebte, wie sich dieses Berlinmit starken Adlerschlägen zur Weltstadt auswüchs". Vielleicht hat keiner so stark und sicher empfunden wie er, daß unter der blendenden Hülle als letzter, innerster Wesenskern noch immer das kurfürstliche Nest steckte, über das die Zivilisation voller Hast und Gier tosend herein­gebrochen war. Das Wandern stak ihm als letzter Rest ruhmvollen Gascognertumes wohl im Blute; Kurmärker und Gascogner zu sein in einer Person war vielleicht die Grund­bedingung und Voraussetzung gerade seines dichterischen Schaffens: er ward und war einer, der so märkisch war in Einfalt, Biederkeit und Geradheit, wie nur je ein ältester

r) Ich bebe aus der umfangreichen Literatur über Th. Fontäne hier nur die feinsinnige Arbeit von Fr. Servaes in der Sammlung der Dichtung (Nr. 24, (I04) hervor, und als Beispiel dafür, welche Wege bei der Betrachtung der Einzelheiten zu gehen sind, die Studie V. pniowers über Fontanes Grete Minde in: Brandenburgs, Bd.'y, S. ->«ch4:1.