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Erb- und Eingeborener, und dem der gascognische Einschlag die Beweglichkeit der Empfindung und die Buntheit der Erfindung verlieh. Berufliches Apothekergewerbe und schriftstellerische Neigungen gehen lange nebeneinander her; als er den alten Krempel der Kleinstadt beiseite geworfen hat, geben etliche Jahre englischen Aufenthaltes und schottischer Ausflüge seinem Talente und Lharakter Richtung und Form. Schon vierzig Jahre alt kehrt Fontane heim, muß dann lange Zeit und viel Kraft seelisch wie geistig in Redaktionsstellungen verschwenden und baut doch dabei und gleichzeitig auf den in England gelegten Fundamenten an Geschautem und Gefühltem „als erstes Stockwerk eines neuen Hauses" seine Wanderungen auf. Die drei Kriege, welche Deutschland schufen, macht er als Schlachtenbummeler mit, begleitet sie mit flotten, frischen Berichten und wird aus französischer Gefangenschaft erst nach langem Harren befreit. Dann formt er in den vier Bänden seines ersten großen und für immer größten Romanes „Vor dem Sturme" den märkischen Winter von f8s2 auf >813 mit-allem Tiefstände und allen Au- kunftskeimen dieser Schicksalszeit; er kann als Theaterkritiker der Rassischen Zeitung dem Jüngsten Deutschland den Weg bereiten helfen — er bietet das seltene und ethisch so vorbildliche Beispiel, wie das Alter die Zugend versteht und dabei sie unmerklich und sich selber doch so bewußt lenkt — und schließlich schafft er in dem letzten Zahrzehnt seines Daseins, nachdem er sich von den Kunstgesetzen dieser neuen Entwicklungsperiode angeeignet hatte, was Dauerwert besitzt, was berechtigt und logisch war und was feiner Art entgegen kam, jene Romane, die ihn zur letzten überragenden Dichtererscheinung machen, welche die märkische Literaturgeschichte aufzuweisen hat. So steht bei Fontane neben dem Hin und Her des Wanderns doch auch die nötige Stetigkeit der Entwicklung, deren er bedurfte, um zum Künstler zu reifen . . . „das Wandern verliert den Eharakter der Unruhe und wird ihm zur Hohen Schule des Lebens". Märkische Landschaft, geschichtliche Erinnerungen, Erlebnisse der adligen Häuser, Schicksale der Klöster und Burgen, die Sagen der Seen und Hügel, die Eigenart des märkischen Landvolkes wie der Kleinstädte, die sich im Kreise um das aufsaugende Berlin herumlegen: das beschäftigt ihn beim Wandern, das wird gesichtet und gestaltet, wobei sich der forschende Gelehrte wie von selbst in den Menschengestalter, in den Dichter und „Beseeler" verwandelt. Und das physische, geistige, moralische Freiluftmenschentum — eine Errungenschaft des Wandems — hat ihn gehindert, irgendwelche Normalweisheiten zu finden und zu verkünden; er hat geistige Freiheit zu verbinden gewußt mit treuer Heimatliebe und stellte die beiden bekannten Verse fast nebeneinander, die zugleich ein Bekenntnis eignen Wesens sind:
Der ist in tiefster Seele treu,
Wer die Heimat liebt wie du. . .
Treulos sind alle Knechte,
Der Freie nur ist treul
Fontane begann als Balladendichter; er steigerte die dichterisch angeschauten Geschichtsanekdoten zur „nordischen Schwester der antiken Tragödie" auf dem Gebiete des epischen Gedichtes. Zu dem speziell nordischen Eharakter gehört auch, daß das landschaftliche Moment eine Rolle spielt, das mit Vorliebe in den Aufruhr der Natur hineingestellt wird. Ein balladenhafter Ton erfüllt auch die Romane Fontanes und verleiht
Brandendurgische Landeskunde. Bd. IV.