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ihnen das Zwielicht, das „vom Traulich-Anheimelnden ins Unheimlich-Beklommene oft seltsam hinüberschimmert". Bei den Menschenschicksalen, die da vorgetragen und geschildert werden, handelt es sich um Fragen des höheren und niedrigeren Machtvermögens; wer unterliegt, weiß seine Kräfte nicht richtig abzuschätzen, mißt in Verblendung den Wert seines persönlichen Einzelschicksales mit falschem Maßstabe und verfällt so unentrinnbar dem ehernen Gesetze, das unser aller Schicksal bestimmt. Mit steigender künstlerischer Meisterschaft und seelischer Vertiefung hat Fontane diesen problemkreis in mannigfacher, wenn auch leiser motivischer Variierung in seinen Romanen behandelt. LÄdultera hat noch nicht die vollen „Farben einer streng-individuellen Bodenständigkeit", im Graf petöfv droht die Breite endloser Gespräche die seelischen Beziehungen der handelnden Menschen trotz aller Feinheit und Zartheit der Behandlung fast zu ersticken, wenn es auch bereits echtester Fontane ist, wie hier drei Menschen mit stumm-leidender Beharrlichkeit ihr Glück suchen und verfehlen, hier steht die Frau zwischen zwei Männern; im Schach von Wuthenow ist es umgekehrt, nur mit der Steigerung, daß hier der Mann zwischen Mutter und Tochter steht. Maupassant fand bei gleichem Thema die Lösung, daß die Tochter allmählich dis Mutter aussticht; Fontane greift tiefer und kehrt den Fall um, ohne die ganze Wucht des Konfliktes herauszuarbeiten. In diesem Buche aber hatte er den heimischen Boden, die Mark und Berlin, zum ersten Male sicher gewonnen; es war eine Vorbereitung für den großen Roman „Vor dem Sturm", wo Fontane alle sozialen Schichten zu umfassen suchte. Tr ist dann aus den Jahren der Freiheitskriege allmählich in stofflicher Beziehung vorgerückt bis in seine Gegenwart und hat damit dem preußischmärkischen Menschentums „ein gewinnendes, unvergängliches Denkmal" gesetzt. Seine Behandlungsart kann grausige Balladenthemen mildern und abdämpfen: Raubmord — in „Knter'm Birnbaum" — und Sohnesmord — in „Ellernklipp" — werden erklärlich und verständlich, und über die Lebens- und Liebesirrungen junger Frauen liegt ein Verstehen und Verzeihen, das alle Gegensätze der Tharaktere und des Handelns auszugleichen sucht. Und all das steht gegründet und fest gefügt im Volksmäßigen, auf der Heimatscholle; das rein Technische ist wohl etwas lässig gehandhabt, weil unscheinbare Einzelheiten und Beobachtungen^ oft überhandnehmen und die geschlossene Form derartig sprengen, daß der Reichtum geradezu unter den Händen dem Dichter zerfließt. „Auch als Romanschreiber blieb Fontane gleichsam ein Spaziergänger", der im Wandern und Erzählen unbedenklich und gleichermaßen Zeit hat, ohne sich darüber irgendwie Rechenschaft abzulegen, wie lange eine Spannung — sachlich und technisch — anhält. So kommt es auch, daß er fast mit Absicht allen höhenpunkten aus dem Wege geht, um die Kernpunkte der Entwicklung verschwinden zu lassen. Solchen Mängeln steht aber die Fülle der Tharakteristik gegenüber, die an die handelnden Personen und ihre mannigfachen Beziehungen zueinander geradezu verschwendet ist. Um nur eine Seite hier hervorzuheben: dem vielverleumdeten Junker der Mark hat er eine ganze Reihe von „literarischen Ehrendenkmälern" gesetzt und Gestalten von herzlicher Schlichtheit und Festigkeit geschaffen. Solche Liebe zu den Menschen der Mark entstand ihm aus den Reizen, Stimmungen und
I) Freilich erwachsen daraus oft weite Folgerungen; so etwa, wenn die heimkehrende Grete Minde aus den weggestoßenen Schwalbennestern das mürrische und lieblose Walten der Schwägerin gleich auf der Schwelle erkennt.