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als den typisch berlinischen Herzensbund auf Zeit an, der von den Sinnen geschlossen und vom Verstände in herzlicher Freundschaft gelöst wird. Weil aber andererseits Fontane die märkischen Landschaftswunder innig glaubt, so vermag er auch für sie zu erwärmen; seine Balladen sind in ihrer wundervollen Verschmelzung von Wirklichkeitstreue und Romantik den Allerbesten in unserer Literatur zuzuzählen. Der Meister der Stimmungs- erzeugung ist im universellen Sinne des Wortes Naturalist, den die Liebe zum „Allesver- stehen und Allesverzeihen" geführt hat; für unsere Zwecke hier hat er selbst allerdings ^ seine an sich ganz und gar poetische Persönlichkeit mit jenem bekannten Selbstbekenntnis eingeschränkt: Ich bin Märker, aber noch mehr Gascogner. Erst in seiner dritten Schaffensperiode aber beginnt Fontane die Erfahrungen seines Lebens in Romanform niederzulegen, wodurch er für die Schaffung des realistischen Aonversationsromanes den Boden recht eigentlich bereitet hat. Seine Eigenart besteht hier nicht in der Führung der Handlung, die meist höchst dürftig ist, sondern in der Meisterschaft, Verwicklungen und Entwicklungen zwischen Gesprächen indirekt anzudeuten und die Gespräche selbst so individuell auszugestalten, daß man lebendige Reden zu hören meint.
Fontane bietet ein einheitliches Bild Berlins aus den Tagen Bismarcks und Wilhelms I. Noch ist das Stadtbild freilich beschränkt, noch wird das Stadtinnere von den Wohlhabenden bewohnt, und in Irrungen und Wirrungen reitet Botho über die Moabiter Brücke direkt in die Iungfernheide, während seine Lene in einer Gärtnerei wohnt, die direkt an den Zoologischen Garten stößt; ein Blick ins Innere der Häuser zeigt manches von der Altberliner Wohnungsmisere, und über das Weichbild der Stadt führt die Landpartie hinaus, an die sich, wie Richard M. Meyer sehr nett gezeigt hat, in der Romantechnik Fontanes immer entscheidende Wendungen knüpfen. Urberlinisch sind bei Fontane die warmen Punschbowlen und „altdeutsche" Napfkuchen — eine echt berlinische Einrichtung „als Mahnung, es mit dem neuen Deutschland ernst und ehrlich zu versuchen". Das Theater spielt in diesen Romanen nur eine geringe Rolle, doch manche Debatten über die Kunst im allgemeinen werden ausgefochten, und viele Tharakterköpfe der Berliner Gesellschaft — z. B. Frommet im Stechlin — werden in Umrißzeichnung vorgeführt. Die eigentümliche Halbheit des Berliners und Berlinertums ist auch Fontanes dichterisches Problem; die merkwürdige berlinische Mischung sprachlicher Elementes wird gut beobachtet und wiedergegeben, die Fülle der Figuren und Gestalten allerdings ganz schematisch nach Ständen gegliedert: in der Unterklasse wird die Verbindung von Herzlichkeit und Grobheit und Gemütsroheit, bei den märkischen Adligen — Berliner und Märker gehen für Fontane immer ineinander über — der Zwiespalt von überliefertem Standesgesühl und neuem Denken immer wieder betont. Fontane wußte sich in den Stuben verarmter, adliger Familien der Mark, wie der Poggenpuhls mit ihrem Leben der „pktits-eroves" ebensogut zurechtzufinden wie im Bürgerhaus oder bei der Witwe pittelkow mit ihrem Irafen in der Invalidenstraße zu Berlin. Solchen Reichtum hatte er aus heimatlichen Wanderfahrten heimgebracht; dann lag das Leben des hurtigen, arbeitsamen Berlin tief unter ihm und um ihn herum das stille märkische Land . . . das war immer allgegenwärtig: aus dem Ertrag solcher Ernte hat er geschöpft in milder,
') Vgl. darüber das Vortragsreferat von lv. Boehm in den tltitt. d. Ver. f. d. Gesch. Berlins, t9l^, Nr. Z.