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gefaßt: „Das Banner des deutschen Naturalismus flatterte in den Lüften, ward beschimpft und bestaunt, mit wechselnden Gebärden; aber eingezogen sollte es nun nicht mehr werden, auf lange hinaus." So schritt also im Naturalismus eine Kunstrichtung zum 5iege, die Zola in Frankreich bewußt eingeschlagen hatte, und für die sich der Ost- preuße Arno Holz und Johannes Schlaf, ein gebürtiger Magdeburger, zuerst mit eingesetzt hatten. Die hart und ihre Freunde hausten in dem damals noch stillen Friedrichshagen am Müggelsee, Gerhart Hauptmann war im benachbarten Erkner zwischen Wald und 5ee ansässig, und Holz und Schlaf wohnten im nördlichen Niederschönhausen in dürftiger Einsamkeit. Holz hatte im Buch der Zeit H885) den Berliner Frühling noch ohne naturalistischen Ton und Beigeschmack besungen:
DH, wie so anders als die Herren fingen,
Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein,
Er weiß sich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelfang und vollmondschein.
Er heult als Südwind um die morschen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt.
Als Holz dann aber die Poesie der neuen Zeit erlauschen und formen wollte, da stieg sein phantasus in Bildern voll sozialer Prägung und Bitterkeit vor ihm auf; tief im Norden oder Osten der weitgedehnten Stadt siedelt er dann seine Dichtung an . . .
Ihr Dach stieg fast bis an die Sonne, vom Hof her stampfte die Fabrik,
Es war die richtige Mietskaserne Mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
Parterre gab's Branntwein, Grogk und Bier,
Und bis ins fünfte Stockwerk hatte Das Vorstadtelend sein Dnartier...
Dem Geiste der Zeit entsprechend, gab Holz auch seine Rechtfertigung für den ungewohnten Inhalt:
Denn süß klingt mir die Melodie Aus diesen zukunftsschwangeren Tönen;
Die Hämmer senken sich und dröhnen:
Schau her, auch dies ist Poesie I. . .
Ja Wunder tut sie sonder Zahl,
Sie lindert jegliches Verhängnis,
Sie setzt den Fuß selbst ins Gefängnis Und speist die Armut im Spital.
hatte das gedruckte Buch (die erste Auflage von vor Sonnenaufgang erschien in der Paul Ackermannschen Buchhandlung, Berlin, Friedrichstr. ly) „mit dem Mute einer eben überstandenen Sommerfrische" gelesen; als die Vorstellungen zu Ende waren, schloß Fontane einen „Rückblick" mit folgenden Worten: „Oie Zukunft wird den Kämpfern gerechter sein und den Einsatz an Kraft und Gpfern, den dieser Kampf kostete, mehr zu würdigen wissen."