Holz und ächlaf haben dann als Naturalisten von äußerster Folgerichtigkeit in der Familie Lelicke ein Stück Berliner Leben gegeben, von dem Fontane sagte, daß „auch das Beste, was wir auf diesem Gebiete haben, daneben verschwindet"; der Schlesier Ger- hart Hauptmann bot im „Biberpelz" ein echt humoristisches Bild der unfertigen Zustände Berliner Vororte, auch mit dialektischem Beiklange, und kehrte nach den bekannten Abbiegungen über das weit gespannte soziale Geschichtsdrama „Die Weber", über das Märchenstück von der versunkenen Glocke in den Ratten, einer Tragikomödie vom Jahre wieder in das Berliner Milieu zurück, indem er das Stück in einer verlassenen, nun von allerlei Volk bewohnten Militärkaserne in der Nähe des Alexanderplatzes spielen ließ. Hermann Sudermann, der seit 1877 in Berlin oder seiner Umgebung seinen Wohnsitz hat, spitzte den durchaus auch für das Drama nicht neuen Gegensatz zwischen Vorderhaus und Hinterhaus für Berliner Verhältnisse zu und folgte in Konflikten und darzustellenden Menschen dem Zuge nach dem Westen der Stadt, indem er die Gegend um den Kurfürstendamm, oft auf dem Hintergründe der hohen Politik oder Finanzwelt, zum Schauplatze der meisten seiner Theaterstücke machte?)
Die lyrische Gestaltung des neuen Berlins, hinter dem die an sich ja ewig gleichbleibende Mark immer mehr und mehr zurücktritt, hielt mit der eben skizzierten dramatischen nur in geringem Maße Schritt; in Georg Reickes Versen finden die weichen Konturen der Stadt, der grüne Frühlingsschleier, den die Sonne um die Blumen des Balkons webt, ein Ausschnitt aus dem Tiergarten oder eine Vorortsstimmung einen gelegentlichen, von starker Liebe zum Gegenstände getragenen Ausdruck; der Märker Richard Dehmel, der Sohn eines Försters in Wendisch-Hermsdorf im Spreewald, ein Mischling aus slawo- und keltogermanischem Blute, weitet das Großstadtbild zum sozialen, allgemein gültigen Gemälde und erhebt sich ebenso wie der Rheinländer Stefan George zu solch bewußter Höhe der Kunst, daß dort jeder Hauch und Schimmer der Heimaterde völlig abfällt; es ist eine Seltenheit, wenn der früh verstorbene Trust Schur st876—t9t2) die steinerne Stadt als Heimat empfindet:
Gibt es nur ein Zurück Zu Vors und Stadt?
Gibt es nur eine Flucht Zu den kleinen Städten? .. .
Deren Jugend hier aufwuchs Zwischen all den Häusern,
Die den Himmel suchen mußten.
Sehnten sie sich nach der Bläue,
Die kennen dich. HeimatI
9 In diesen Zusammenhängen sei auch darauf hingewiesen, daß im Herbst I8gr in M. Hardens Zukunft ein Grgan entstand, das sehr bald eine bleibende Ausnahmestellung unter den mannigfachen Berliner Revuen einnahm; der Berliner Ferd. Avenarius dagegen, dessen eigene Lyrik der heimatlichen Charakteristika entbehrt, hat die Bestrebungen seines Kunstwort außerhalb Berlins und der Mark Brandenburg angesiedelt. — Wichtig für die hier behandelten Zusammenhänge sind noch zwei Aufsätze: A^Bulthau^t, Berlin als Kunsthauptstadt, in Nord und Süd, Bd. 72, 18H5, S. 314/27; I,chuchda, Berlin und das deutsche Geistesleben, in Der Greif, Bd. i, 1913/4, 1, S. I8S/99; der letztgenannte Aufsatz bietet einige gute, nach allgemeinen Gesichtspunkten geordnete Beobachtungen.