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Geschlechts behandelt; selten nur geriet dabei aber eine Dichtung, die den Rahmen weiter spannte und sich bemühte, die wichtigsten der „treibenden Kräfte am Werke", die künstlerisch geschauten und geformten Einzelbilder und Sondertypen wieder zusammenzufassen. Dahin gehört z. B. Felix Holländers „Weg des Thomas Truck" flstoch, der alles, was die Jugend jener Jahre um 18st0 bewegte, vom Sozialismus bis zu Egidys Lehren — um nur einiges zu nennen — noch einmal in bunter Lebensfülle vorführte. Ein Stück sozialen Berliner Lebens gab Klara Viebig m ihrer stärksten Leistung, in dem Dienstbotenroman „Das tägliche Brot" (sstOO) und versuchte in dem Tempelhofer Roman „Die vor den Toren" hstfO) die verzwickten Verhältnisse darzustellen, die die Umwandlung eines alten Dorfes in einen Großstadtvorort zur Folge hat.
Von den leichteren Talenten, die sich in immer größere Anzahl, mit gar verschiedenem Können und in mannigfachen Absichten um einen Unterhaltungsroman berlinisch-märkischen Tharakters mühten, kann ich hier nur einige mehr oder weniger typische Vertreter herausheben. Da war die Berliner Boheme, dies gezüchtete, nicht eingeborene Produkt der Verhältnisse, ein beliebtes Thema, das zunächst in Ernst v. Wolzogens „Lumpengesindel" in scharfer Beobachtung, mit beträchtlicher Wirklichkeitstreue auf die Bühne gestellt worden war, dann aber in desselben Autors „Kühler Blonden" sichst h oder in I. R. zur Megede fl864 — chst06) „Unter Zigeunern" sichst?) eine epische Ausprägung erfuhr; A. v. Roberts, Rudolf Stratz, Wilhelm Meyer-Förster gaben Schilderungen und Ausschnitte aus dem Leben der allgemeinen Gesellschaft, des Heeres oder des Sportes; die Brüder Zobeltitz ließen bei gleichem Bemühen manchmal eine leise humoristische Note durchklingen: der jüngere, Hanns von Zobeltitz, hat in dem Buche „Aus märkischer Erde" hstsO) die Werdejahre des neuen Berlin nach >866 mit scharfer Betonung des landschaftlichen Momentes, aller der Elemente, die die werdende Riesenstadt eben an die Provinz Brandenburg knüpfen, geschildert. Spezifisch literarische Abwandlungen und Bilder gaben, mit der persönlichen Note der Verbitterung oder der Karikatur, Karl Bleibtreu und Rudolf jDresber in „Geist" slst06) und in der „Bunten Kuh" sfstll), und es ist für die Vormachtstellung Berlins gerade auf diesem Gebiete charakteristisch und ausschlaggebend, daß die großen Familienblätter und illustrierten Monatsschriften nach und nach alle nach Berlin übersiedeln: „Daheim" wie „Gartenlaube", die Monatshefte von Velhagen oder Westermann, aber ebenso auch die „Grenzboten" oder „Nord und Süd".
Der Volks- und Blutmischung der Stadt entsprechend, ist hier noch ein Zug hervorzuheben. Das „jüdische Selbstporträt" gewinnt im Romane allmählich eine markante Bedeutung. Schon in Sudermanns Berliner Theaterstück „Sodoms Ende" war es in dramatischer Form angedeutet worden, Georg Hirschfeld hatte mit den Mitteln des Bühnennaturalismus der hier entscheidenden Zahre den jüdischen Mittelstand aus dem Osten Berlins in „Die Mütter" H8H6) und in „Agnes Jordan" sl8st8) geschildert; in Geor g Hermanns vielgelesener „Zettchen Gebert" Hst06) wurde das Milieu des alten Berlin zwischen den Freiheitskriegen und den Märztagen mit liebevoller Belebung im Detail aufgezeigt und scharf der Zwiespalt hervorgehoben zwischen den „eingedeutschten" jüdischen Familien und dem kulturlosen Nachschub aus dem Osten. Auch Adele Gerhard hat in der „Familie Vanderhouten" s l stOst) die Probleme der Großstadt scharf erfaßt und