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Bd. 4 (1916) Die Kultur / von Robert Mielke ...
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das Aufsaugen der einzelnen durch die große Gesamtheit der städtischen Bevölkerung in seiner geschichtlichen und notwendigen Folgerichtigkeit erzählt?)

Die letzten Jahre vor dem großen Deutschen Kriege unserer Gegenwart, die auch für das hier behandelte Gebiet einen Einschnitt von heute von nicht zu übersehender und abzuschätzender Wichtigkeit und Intensität bedeutet und die so manche unerfreuliche Neben­erscheinungen rein artistischen und hyperästhetischen Gepräges auch hier beseitigt und weg­gefegt hat, haben gerade für die historischen Zusammenhänge des Berliner und märkischen geistigen Lebens in gar mancher Beziehung den Blick geweitet oder gar erst wieder geöffnet. Angebrochen herrscht ein Berliner Stil von (Lhodowiecki, Krüger und Schadow bis zu den Bauten Messels und L. lhoffmanns und lehren, wenn auch zunächst nur auf ihrem Ge­biete, die Geschlossenheit der Berliner Kultur, die sie sich durch manche auch verworrene Jahrzehnte bewahrt hat. Der RufLos von Berlin" zeigte auch die Stadt als ein heimatliches Gebilde; neben den Mittelpunkt der Sensationen trat das malerische Berlin, die Stadt der intensivsten Arbeit, von der der Großindustrielle Walther Rathenau gesagt hat: Was uns den Namen gibt, ist die Fabrikstadt, die im Westen fast niemand kennt, und die vielleicht die größte der Welt ist . . . nach Norden, Süden und Osten streckt die Axbeiterstadt ihre Polypenarme, sie umklammert den schmächtigen Westen mit Eisensehnen.

Wer das wirkliche Berlin von dem Großen Friedrich bis zu dem Zweiten Wilhelm von Preußen, von Schlüter bis Menzel in allen den mannigfachen literarischen Verzwei­gungen, Asten, Kräften und Trieben, aber auch von Borsig bis nach Siemensstadt hin zu finden weiß, der sieht doch auch die Schönheit dieser so oft und viel als ungastlich und unhold verschrienen Stadt und ihrer märkisch-sandigen Umgebung. Wenn auch, wie schon hervorgehoben, außer dem einzigen Kleist keiner der führenden Dichter des. Jahr­hunderts und gar unserer Zeit sein Leben hier ganz vollbracht und ganz und völlig und eben nur von hier aus gewirkt hat, so zeigt doch ein Blick auf das dichterische Berlin, wohin eine von landschaftlichen Grundgedanken ausgehende Betrachtung notwendiger­weise führen muß, wie Stadt und Dichter sich gegenseitig durchdrangen und umfaßten, nicht nur zum Ausdruck und Wirkung der flüchtigen Minute oder Stunde, sondern doch immer wieder zum dauernden Werke, zum bleibenden Gewinn, unter immer stärker wer­dender Wirkung, auch wenn die Komponenten solcher Einflüsse und Kräfte den meisten von ihnen unbewußt und unklar blieben, vielleicht auch sogar feindlich erscheinen mochten.

Dem schaffenden Berlin, das in dieser großen Zeit, in welcher das deutsche Volk

tz Andeutend nenne ich hier nur den Roman Line Per! von Anselma Heine, dessen größter Reiz in der sinnfälligen Wiedergabe Berlins bestehtich weiß kaum ein Buch, das die Herberge vieler Zerstreuter (dieses Berlin wird geschildert) so stark vermittelt"; den vor­läufigen Abschluß bildet hier Artur Landsberger, der in den drei Büchern: Hilde Simon, Lu, die Kokette und Millionäre den von Fontane geschaffenen Typus des Berliner Romanes erfüllte und zugleich auch erweiterte. Landsberger übt hier Kulturkritik; er verwendet als Kunstmittel fast nur den Dialog, kaum eine Schilderung alten Stiles findet sich, keine Natur wird beschrieben, keine Straße, kein Haus, und doch steht das ganze Berlin am Beginne des zweiten Jahrzehntes dieses Jahrhunderts deutlich dal Baute Jettchen Gebert das Berlin der Biedermeierzeit mit herzlicher Treue auf, so zeichnet Landsberger das Berlin des rasenden Dranges nach oben, seine Gesellschaftsschilderung wird dabei zur Gesellschaftskritik, so daß auch er ein Kulturbild großen Stiles zu geben imstande ist.