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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
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Sechzehntes Kapitel.

Die Auswirkung der Mendelssohnschen Ideen.

Universalgeschichte, vollends jüdische Geschichte, war bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts ein kaum bekanntes Wissensgebiet. Mendelssohn stellt bedauernd seinen Mangel an Geschichtskenntnis fest wie anders hätte sich sein jüdisches Weltbild geformt, wäre es auf der Grundlage ebenso stolzer wie erschütternder geschichtlicher Erinne­rungen aufgebaut! Als dem Manne der exakten Wissen­schaften, hätte ihm die etwaige Beschäftigung mit der Zu­kunft seines Volkes einen müßigen Traum bedeutet. Als ihm einmalein Mann vom Stande das Projekt einerVer­einigung einer so sehr zerstreuten Nation unterbreitet, sinnt er wohl einen Augenblick demso kühnen Unter­nehmen nach. Er weiß, daß esden natürlichen Trieb zur Freiheit und Tatkraft zur Voraussetzung hat; aber dieser Trieb hat sichin eine Mönchstugend verwandelt und äußert sich bloß im Beten und Leiden, nicht im Wirken. Vor allem aber fürchtet er, seine Nationist nicht vorbereitet genug dazu, irgend etwas Großes zu unternehmen. Der Druck, unter welchem wir seit so vielen Jahrhunderten leben, hat unserm Geiste alle vigueur benommen. Es ist nicht unsre Schuld.

Auch zum Willen, die Judenheit aus den Banden ent­würdigender Ausnahmegesetze zu befreien, vermochte er

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