Sechzehntes Kapitel.
Die Auswirkung der Mendelssohnschen Ideen.
„Universalgeschichte“, vollends jüdische Geschichte, war bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts ein kaum bekanntes Wissensgebiet. Mendelssohn stellt bedauernd seinen Mangel an Geschichtskenntnis fest — wie anders hätte sich sein jüdisches Weltbild geformt, wäre es auf der Grundlage ebenso stolzer wie erschütternder geschichtlicher Erinnerungen aufgebaut! Als dem Manne der exakten Wissenschaften, hätte ihm die etwaige Beschäftigung mit der Zukunft seines Volkes einen müßigen Traum bedeutet. Als ihm einmal „ein Mann vom Stande“ das Projekt einer „Vereinigung einer so sehr zerstreuten Nation“ unterbreitet, sinnt er wohl einen Augenblick dem „so kühnen Unternehmen“ nach. Er weiß, daß es „den natürlichen Trieb zur Freiheit und Tatkraft“ zur Voraussetzung hat; aber dieser Trieb hat sich „in eine Mönchstugend verwandelt und äußert sich bloß im Beten und Leiden, nicht im Wirken“. Vor allem aber fürchtet er, seine Nation „ist nicht vorbereitet genug dazu, irgend etwas Großes zu unternehmen. Der Druck, unter welchem wir seit so vielen Jahrhunderten leben, hat unserm Geiste alle vigueur benommen. Es ist nicht unsre Schuld.“
Auch zum Willen, die Judenheit aus den Banden entwürdigender Ausnahmegesetze zu befreien, vermochte er
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