selber war eine bedeutende Frau. In der Philosophie war sie ebenso bewandert wie in der Kunst und in der Literatur. Von den ethischen Werten des Judentums war ihr nur ihre schrankenlose Hilfsbereitschaft verblieben (in meiner Sammlung verwahre ich ein Handschreiben, worin sie einen Tag vor ihrem Tode einer Freundin, Frau Fränkel, Richtlinien für Verteilung von Unterstützungen gibt). Ihr Herzensfreund war der Theologe Schleiermacher. Ein Leichtes war es ihm, diese laue Jüdin für die Kirche zu gewinnen; doch war Madame Herz zartfühlend genug, mit dem Übertritt bis nach dem Hinscheiden ihrer Mutter zu warten und ihn auch nicht — wie Schleiermacher es wünschte — in der Berliner Dreifaltigkeitskirche, sondern unbemerkt in einer kleinen Stadt zu vollziehen.
In einem Atem mit Henriette Herz wird gewöhnlich Rahel Levin genannt, die später den bedeutend jüngeren Schöngeist Varnhagen von Ense ehelichte. Ihr Salon wurde der Treffpunkt der Berliner Goetheverehrer. Sehr viel hat sie für das Verständnis des großen Dichters getan, dessen Dichtungen sie auswendig wußte. Henriette Herz verfügte über mehr Kenntnisse; Rahel war weise. Darum durfte sie im Bewußtsein ihres Wertes nach ihrer Begegnung mit Goethe schreiben: „Wenn ich ihn nicht sehen sollte, wer verdient es sonst?“ Seine Werke waren ihre Bibel, Goethekultus ihre Religion. In ihrem Salon durfte sie den hochgemuten Prinzen Louis Ferdinand und Heinrich von Kleist begrüßen. Auch diese Tochter Israels ward ihrer Religion untreu. Wie Madame Herz, rettete auch Rahel Varnhagen eine Stammeseigenschaft in ihr Christenleben hinein: Pietät. Pietät der alten Mutter gegenüber. „Rahel wollte Gottes Odem in den geschichtlichen Auf- und Niedergängen erlauschen“, aber die Geschichte ihres jüdischen Volkes blieb ihr gleichgültig. Nach ihren eigenen Worten bedeutete ihr Judesein Zeit ihres Lebens ihre