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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
Seite
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größte Schmach. Daß sie sich in Paris alseine Berliner Jüdin ausgibt (vgl. S. 178), in Berlin sich über den Juden­haßgrenzenlos traurig, gekränkt bis zum herzerkaltenden Schreck fühlt, daß sie einen Teil ihres Tagebuches in jü­disch-deutscher Schrift führte, bedeutet kaum mehr als eine Jugenderinnerung.

Rahel und Henriette Herz fanden in den von Bachs Passionen und Kantaten und Palestrinas Meßgesängen verschönten christlichen Gottesdiensten die Gemütserhe­bung, die ihnen der jüdische Gottesdienst in seiner dama­ligen Form nicht zu bieten vermochte. Beide Damen wurden gar fromme Christinnen: der Maler Moritz Oppen­heim erzählt, wie sonderbar es ihn berührte, als er Doro­thea die Tochter des Philosophen der Aufklärung! beim Gutenachtsagen ihre Kinder mit dem Zeichen des Kreuzes segnen sah. Madame Herz ließ sich die Sterbe­sakramente reichen. Beide Damen haben nach ihrem Glau­benswechsel als Christinnen gelebt und sind als solche ge­storben. Kein Wort der Sehnsucht nach dem Väterglauben oder gar des Wunsches nach Rückkehr zu ihm ist je über ihre Lippen gekommen. Wenn sich Rahel auf dem Sterbe­bettemit erhabenem Entzücken rühmte:Was mir früher als eine unglückliche Schicksalsfügung erschien, das möchte ich heut um keinen Preis missen, denn ich gehöre durch meine Geburt dem Volke an, das die höchsten Ideale des Menschengeschlechts verkörpert, so ist dies nichts anderes als ein erfreuliches, wenn auch spätes Erwachen ihres Juden­stolzes, ihres Rassenbewußtseins.

Obgleich die Berliner Judenheit in der nachmendelssohn- schen Zeit bis in die dreißiger Jahre hinein wertvollste Kräfte einbüßtedie Hälfte, wie Rahel an ihren Bruder schreibt, ist übertrieben, trotzten doch Gemeinde und Gemeindeleben den Stürmen dieser gärenden Zeit. An ihr ehrwürdiges MütterchenJudentum schmiegten sich die Ge-