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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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religiöse Einstellung der Brüder nicht kümmerte, scharten sich doch im Wesentlichen nur Männer von treuer Anhäng­lichkeit an das Judentum um sein Banner. Da die Logen Zu­rückhaltung gegenüber den Erscheinungen der breiten Öffent­lichkeit wahrten, konnte man von ihnen einen Impuls für den Aufschwung des religiösen Lebens nicht erwarten, so sehr auch die einzelnen Mitglieder auf religiöser Grundlage ein Sichausleben als Menschen und als Juden ersehnten und den Weg hierzu suchten.

Anfang der 80er Jahre lag das religiöse Leben der Ge­meinde arg darnieder. Der Westen der Reichshauptstadt ver­fügte nur über einen einzigen Tempel: die von den Eltern Max Liebermanns in den sechziger Jahren gestiftete Synagoge an der Potsdamer Brücke. Sie genügte für die konservativen Kreise des alten Westens. Die liberalen Juden dieser Gegend besuchten die Neue Synagoge, die noch immer eine starke Anziehungskraft auf die Juden Berlins ausübte. Auch Christen bewunderten diesen Tempel; stellte doch selbst Heinrich von Treitschke fest:Die Juden haben das schönste Gotteshaus.

Ein gut Teil dieser allgemeinen Anerkennung geht auf die eindrucksmächtige Ausgestaltung des Gottesdienstes zu­rück. Im Mai 1881 hatte Rabbiner Dr. Siegm. Maybaum (bis dahin in Saaz) sein Amt angetreten, ein glänzender Prediger voll fortreißenden Schwunges, dabei ein Gelehrter und Lehrer von Format. Lewandowski dirigierte den Chor. Seine an die edelste Tradition anknüpfenden und da­her volkstümlichen Kompositionen erklangen zuerst in der Neuen Synagoge. Sie wecken in allen Synagogen der Welt Entzücken und Glaubensfreudigkeit. Als damals imNeuen Tempel am Schluß eines Versöhnungstages zum ersten Male seineDeutsche Keduschah erklang, wertete man diese Tonschöpfung ebenso als ein musikalisches Ereignis wie als ein religiöses Erlebnis. Auch der an der Neuen

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