Die Gemeinde ging einen Schritt weiter. Nach einer eigens dazu geschaffenen Agende veranstaltete sie am Sabbatnachmittag Jugendgottesdienste. Bei der ersten dieser Feierstunden (20. April 1889) war die Neue Synagoge bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Interesse der Jugend an ihnen hielt bis um die Jahrhundertwende an. Von da an wurde der Besuch dieser Gottesdienste allerorten durch die aufkeimende, auf der Forderung körperlicher Ertüchtigung durch Wandern, Spiel und Sport beruhende Jugendbewegung stark beeinträchtigt.
Weder den Gemeinden, noch Logen, noch Einzelpersonen kam es in den Sinn, die jüdische Jugend — nach dem Vorbild der katholischen — in Verbänden zusammenzufassen. Wozu auch? Sie fühlte sich in den nichtkonfessionellen Vereinen wohl. Gründung jüdischer Jugendverbände hätte die Elternschaft als Rückkehr in ein freiwilliges Ghetto gebrandmarkt.
Ähnlich lagen die Verhältnisse bei der akademischen Jugend. Satzungsgemäß blieben Juden von den feinen Korps und Burschenschaften ausgeschlossen. Als ein studentischer Zusammenprall aus Gründen rassischer Verschiedenheit einem cand. med. Hugo Blum (Herbst 1888) das Leben kostete — er fiel im Zweikampf — deutete die jüdische Studentenschaft dies Zeichen der Zeit richtig, indem sie sich ihrerseits zusammenschloß. Der „Akademische Verein für jüdische Geschichte und Literatur“ sowie die (farbentra- gende) „Sprevia“ traten ins Leben.
Die wirksame Arbeit dieser Studentenbünde wurde durch das Fehlen einer die Geister mitreißenden, zündenden Parole beeinträchtigt. Eine solche bot sich erst, als Theodor Herzl mit seinen beiden Werken „Der Judenstaat“ und „Alt-Neuland“ an das Gewissen der Weltjudenheit appellierte, für das zerstreute jüdische Volk wieder ein Land und territoriale Konzentration erstrebte und den Palästina-
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