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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
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gedanken als das Mittel gegen seelische Vernichtung, satte Bürgerlichkeit und beginnende gesellschaftliche und wirt­schaftliche Ausgliederung kennzeichnete. Junge Juden, die später zu Führern der Zionistischen Organisation empor­wuchsen, schlossen sich imVerein jüdischer Studenten zusammen. Eng verwurzelt mit deutschem Kulturgut, suchten sie sich die Schätze vieltausendjähriger jüdischer Geisteskultur zu eigen zu machen, verhalten der in Ost­europa längst wiedererwachten hebräischen Sprache auch in Deutschland zu ungeahnter Auferstehung und weckten jü­dischen Rassenstolz, der sich vor dem Stirnrunzeln der Mit­menschen nicht mehr ängstlich verkroch. Aus den Spalten neugegründeter Zeitungen, aus der Enge der Studierstuben, aus dem Qualm der Versammlungssäle drangen die erziehe­rischen und politischen Gedanken der neuen Bewegung in die jüdische Öffentlichkeit hinaus, zunächst ohne nennens­werten Widerhall, zumal die deutschen Rabbiner einen flam­menden Protest gegen die Konstruktion eines jüdischen Volkstums gegenüber ihrer deutschen Volksgemeinschaft er­ließen. Außerdem fiel die Agitation der Zionisten den ge­ruhsamen Berliner Juden auf die Nerven. Dennoch ver­hallte der Ruf des Zionismus nach Selbstbesinnung und Be­tonung jüdischer Würde auch bei seinen Gegnern nicht un- gehört. Man fing an, sich seines Judeseins nicht mehr zu schämen. Die Damen schlugen nicht mehr ängstlich das Gebetbuch in Zeitungspapier ein, wenn sie zum Gottes­dienst gingen. Im jüdischen Hause mußte der Weihnachts­baum dem bescheidenen Chanukkahlicht weichen. Das Ge­fühl für Stolz und Würde wurde wach.

Der aufkommende Zionismus bedeutete in Wirklichkeit die Verlebendigung einer Jahrtausende alten Sehnsucht und eines im 19. Jahrhundert von Moses Heß (vgl. S. 282), Leon Pinsker und Isaak Rülf wiedererweckten Ideals. Wie er die Einstellung und Haltung der Juden ihren

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