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Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg / von Eugen Wolbe
Entstehung
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Dr. Moritz Stern entwickelte sich diese ansehnliche Büchersammlung zu einer segensreichen Einrichtung.

Trefflich geleitet, stieg die Gemeinde zu ungeahnter Blüte empor. Synagogen und Religionsschulen, Wohltätigkeits­anstalten, wissenschaftliche, gesellige und charitative Ver­eine traten ins Leben. Dank des Entgegenkommens der Behörden wurde in allen Lehranstalten mit nennenswerter Zahl jüdischer Zöglinge Religionsunterricht eingeführt. Ein­gedenk dessen, daß jede Stunde des Sabbattages heilig ist, verlieh die Gemeinde seit 1897 dem Gottesdienst am Freitag­abend durch Predigten eine erhöhte Weihe; für Gläubige, die diese Feierstunde im Winter wegen des frühen Sabbat­beginnes nicht besuchen können, wurde ein zweiter Abend­gottesdienst veranstaltet.

Schleichend begann ein Übel am Lebensmark der Juden- heit zu zehren. Während im Jahre 1876 die Geburtenziffer der Juden den höchsten Stand von 46 pro Tausend er­reichte, sank sie von da an auf 28, ja auf 17 im letzten Jahre vor dem Weltkriege herab. Der Rückgang trat aber nicht sonderlich in die Erscheinung, denn der Zuzug aus dem preußischen Osten machte ihn wett. Auch durch Abkehr vom Glauben der Väter verlor das Judentum wertvolle Kräfte, die Gemeinde wirtschaftlich-starke Steuerzahler. Meistens kennzeichnete sich der Glaubenswechsel als eitles Strebertum, obwohl bis auf den Offiziersstand und den höheren Verwaltungsdienst dem jungen Juden aus guter Fa­milie jede Laufbahn offenstand.

Neben dem Geburtenrückgang bürdete den Berliner Ju­den auch die Zunahme der Mischehen eine schwere Sorge auf. Sie erreichte allmählich die Zahl der reinjüdischen Ehen. Doch stellten zu dieser hohen Mischehenziffer nicht die Ber­liner, sondern die aus Polen und Galizien eingewanderten, vielfach sehr rasch von strenger Orthodoxie zu völliger reli-

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