giöser Gleichgiltigkeit hinüberwechselnden Juden das größte Kontingent.
Verfallserscheinungen. Als Ganzes stellte die Berliner Judenschaft um 1900 einen fleißigen, nüchternen, vaterländisch eingestellten Bevölkerungsteil dar. Graf Pückler, der später in Wahnsinnsnacht versank, hielt Brandreden gegen die Juden. Die Berliner Bevölkerung mochte wohl in den Juden — von denen viele bei der Stadtverwaltung ehrenamtlich mitarbeiteten — keine besonders schädlichen Mitbürger sehen, denn sie lehnte den „Dreschgrafen“ und seine Propaganda ab. Noch mehr: im Herbst 1912 machte die „Kreuzzeitung“ den Vorschlag, das konservative Parteiprogramm in bezug auf die Judenfrage einer Revision zu unterziehen, denn die Juden beweisen „Ehrlichkeit in Handel und Wandel, Frömmigkeit und Staatsgesinnung“. Die Anregung stieß auf Widerspruch. Gestützt auf ihre guten Erfahrungen mit den jüdischen Geschäftsleuten, fuhren die agrarischen Leser der „Kreuzzeitung“ fort, die Verkäufe ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch Juden zu tätigen. Der Landwirt war der Mühe des persönlichen Unterhandelns mit den Konsumenten überhoben; der jüdische Mittelsmann bekam seine Provision. Im Falle einer Mißernte sprang er mit langfristigem Kredit ein. Beide Teile befanden sich dabei ganz wohl. Dies Vertrauensverhältnis löste das zunehmende Genossenschaftswesen, das den Juden ausschaltete. Auch gesellschaftlich brachen die Landwirte die Beziehungen zu ihm ab. Dadurch wurde er zum Wegzug aus der kleinen Stadt genötigt. In Berlin suchte er sich eine neue Existenz.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts setzte eine Berufsumschichtung der Juden ein. Infolge Fusionierung und Konzernierung im Bank- und Industriewesen mußten sich Tausende von Angestellten umstellen, so daß der Prozentsatz der Juden im Handel und Verkehr im Zeitraum von zwölf Jahren von 10,5 auf 7,9 sank; 1907 war hierbei nur noch
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