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Der Raw : kulturhistorische Erzählung / von Judäus
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gliedern der Tafelrunde eine ganz ungewöhnliche Bewegung bemerklich. Rabbi Baruch war ein selten gelehrter, gottesfürchtiger Mann, dabei sehr reich und äußerst wohltätig. Sein Vater war von Posen nach Loßna gezogen, woher auch der Name Posner weil er dort für die religiöse Zukunft seiner Kinder fürchtete. Er hatte sich vor Jahren in der Nähe von Loßna niedergelassen und hatte aus einem seiner dort erworbenen Grundstücke beim Bau eines Wohn­hauses einen großen Schatz gefunden, von dem sein ungewöhnlicher Reichtum herrührte. Von seinen eigenen Mitteln hatte er ein großes Bes Hamidrasch (Lehrhaus) bauen lassen, das auch als Synagoge benutzt wurde und es der Gemeinde zum Geschenk gemacht. Kein Hilfesuchender wandte sich umsonst an sein edles Herz/ einem solchen Manne etwas abzuschlagen, fiel der Hei­ligen Genossenschaft nicht leicht. Dazu kam, daß sein zehnjähriger Sohn weit über den Kreis der Stadt hinaus als Jllui (Wunderkind) gefeiert wurde. Der Helle Geist dieses Knaben, sein eiserner Fleiß und sein wunderbares Gedächtnis setzte jeden, der ihn kannte, in Erstaunen. Er hatte im Alter von zehn Jahren bereits einen großen Teil des Talmud und der Poskim sich mit solcher Fertigkeit angeeignet und beherrschte den ungeheuren Stoff mit solcher Leichtigkeit und solcher Meisterschaft, daß ergraute Gelehrte keinen größeren Genuß kannten, als sich mit diesem Knaben in eine gelehrte Diskussion einzulafsen. Dabei entsprach er durch seine Bescheidenheit und