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auf die erste. Meine Tätigkeit, die mir so viel äußere Anerkennung und so viel innere Selbstverachtung bringt, ist die höchste Ehrlosigkeit und Schlechtigkeit! Wie ich hier vor dem Rabbi sitze, bin ich die verkörperte Charakterlosigkeit, ich bin, um es mit einem einzigen Worte zu sagen, ein — Spion. Das bischen Chen (Anmut) und das bischen Seche! (Verstand), mit dem mich Gott begnadet hat, habe ich dazu herabgewürdigt, mich in das Vertrauen hochgestellter Persönlichkeiten einzuschmeicheln, ihre Geheimnisse zu erspähen und sie dann zu verraten- das ist mein Geschäft. Dafür ehrt mich der Czar, dafür werde ich von seinen Ministern fürstlich bezahlt, dafür bin ich ein ehrloser Wicht geworden! Sagt, Rabbi, ist ein solches Leben auf die Dauer zu ertragen?"
Bei diesen Worten erhob sich der Rabbi, legte die Hand auf Meisels Schulter und richtete seinen Blick so unverwandt auf ihn, daß dieser unwillkürlich die Augen niederschlug: Nach
einigen Sekunden tiefen Schweigens sprach der Rabbi:
„Ihr braucht den Blick nicht zur Erde zu senken, Rabbi Moscheh, Ihr dürft mir frei ins Auge schauen. So wie Ihr über das erbärmliche Tun eines Spions denkt, so denke auch ich därüber, wie könnte auch ein Jehudt anderer Ansicht darüber sein? Unsere heiligen Schriften brechen doch an so vielen Stellen den Stab über denjenigen, der einen anderen, sei er Jude oder Nichtjude, über die eigene Gesinnung täuscht,