Teil eines Werkes 
Teil 1 (1920) Die Grundlagen der jüdischen Ethik
Entstehung
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Die Tat, welche das Judentum fordert, ist die sittliche Tat. Sittlich wird und wirkt sie durch die Gesinnung, die ihr zu Grunde liegt. Das Judentum schätzt nicht die Tat als solche, sondern aus­schließlich die sittliche Gesinnung, aus der sie hervorgegangen ist; es verkennt nicht die Verschiedenheit im Wert der religiösen Gebote und unterscheidet Herzenspflichten von Gliederpflichten (vgl. u. S. 48, Nr. 1), es übersieht nicht über den vielen Einzelforderungen die eine Gesamtforderung,Gott zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Es fordert ein reines Herz und einen lauteren Sinn, Übung des Guten um des Guten willen, es verwirft als sündhaft nicht nur die frevelhafte Tat, sondern ebenso die unlautere Gesinnung. Der Gefahr der Werkheiligkeit, von der keine mensch­liche Gemeinschaft dauernd freibleibt, sind auch Bekenner des Juden­tums erlegen, auch Heuchler hat es, wie überall in der Welt, in jüdischen Kreisen gegeben; an diesem Äbirren von der sittlichen Aufgabe aber trägt nicht die jüdische Lehre Schuld. Vielmehr kämpft diese von den ältesten Zeiten an gegen die Veräußerlichung der Religion, gegen das gedankenlose Tun ohne sittliche Gesinnung. Die Propheten Israels sind die Führer der Menschheit zum Dienst Gottes in Innerlichkeit und Herzensfrömmigkeit. Ihr Kampf gegen Lippen­dienst und formale Gesetzeserfüllung ist von den Lehrern des Juden­tums zu allen Zeiten fortgesetzt worden. Wie der Talmud fordert, daß alles Tun des Menschen um Gottes willen geschehe, daß sein ganzes Lebeneine Heiligung des göttlichen Namens sei, so lehren die Rab- binen des Mittelalters wie der Neuzeit, daßkeine menschliche Tat ohne inneren Seelentrieb religiösen Wert besitzt und daßwahr und falsch im Sinne der Religion sich auf wahre oder falsche Gesinnung bezieht. Es ist irreführend, wenn man das Judentum als bloßeGesetzes­religion kennzeichnen will. Die BezeichnungGesetz für die jüdische Religion ist wesentlich durch die alte griechische Bibelübersetzung veranlaßt, die das WortThora durch Nomos=Gesetz wiedergab, während es in Wirklichkeit Lehre bedeutet; dieser Irrtum ist in den Anfängen der Kirche dazu benutzt worden, um das Judentum als