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Mignon.
Das Kind Mignon zeigte von Anfang an eine sonderbare Natur. Es lernte früh laufen, singen, Zither spielen,„nur mit Worten konnte es sich nicht ausdrücken und es schien das‘Hinderniss mehr in seiner Denkungsart als in den Sprachwerkzeugen zu liegen,“ Es kletterte auf Bäume, lief auf den Rändern der Schiffe, trug deshalb Knabenkleider. Bei seinem Umherschweifen ward es von Zigeunern gestohlen.
Als Wilhelm Meister Mignon aus den Händen des herumziehenden Seiltänzers befreit, der sie schlecht und grausam behandelt, ist sie ein Mädchen von 12 bis 13 Jahren,„eine junge schwarzköpfige, düstere Gestalt“. Der Körper ist gut gebaut, nur dass die Glieder einen stärkeren Wuchs versprechen, die Bildung ist nicht regelmässig, aber auffallend, die Stirne geheimnissvoll, die Nase ausserordentlich schön, der geschlossene Mund zuckt oft nach einer Seite, ist aber treuherzig und reizend, die Gesichtsfarbe bräunlich. Im Weiteren zeigt sie sich verständig, gewissenhaft, fleissig, lerneifrig. Ihre Ausdrucksweise jedoch war unvollkommen. Die Schrift blieb schlecht. Auch hier schien ihr Körper dem Geiste zu widersprechen. Am auffallendsten ist ihr gemüthvolles, aber heftiges und zu krankhaften Explosionen geneigtes Wesen. Bei stärkeren Erregungen bekommt sie Schmerz in der Herzgegend, und dann folgt ein Krampfanfall. Ein allmählich beginnendes Zucken verbreitet sich über alle Glieder, sie schreit auf und verfällt in Bewusstlosigkeit mit allgemeiner Erschlaffung. Es folgen wieder Zuckungen, die Anspannung des ganzen Körpers wird be