Die Krankhaftigkeit Mignons.
gebundene, reiche braune[früher schwarze] Haare. Sie war sehr abgezehrt,„sah völlig aus wie ein abgeschiedener Geist“, war sanft und ruhig. Bei der Ankunft Theresens springt Mignon mit Felix um die Wette, Als aber Wilhelm und Therese in ihrer Gegenwart einander umarmen, fährt Mignon mit der linken Hand nach dem Herzen, streckt den rechten Arm heftig aus und fällt mit einem Schrei todt nieder. Der Markese sieht auf dem Arme der Leiche eine Tätowirung und erkennt daran seine Nichte.
Mignon ist offenbar auch eine reine PhantasieGestalt.) Sie sollte wohl hauptsächlich als wunderbar und rührend erscheinen, und man darf zweifeln, ob ihr von vornherein krankhafte Züge zugedacht waren. Auch zur Tochter des Harfners hat sie Goethe
wahrscheinlich erst in späteren Jahren gemacht, da im Anfange gar nichts auf ein solches Verhältniss hin
*) Natürlich kenne ich die Geschichte von dem SeiltänzerMädchen in Göttingen, die Goethe wahrscheinlich schon in Leipzig erfahren hat. Aber diese Anekdote, sowie Goethes Begegnungen mit fahrenden Kindern haben doch nur für den Rahmen Mignon’s gedient. Die Schilderung der Person und ihrer Abnormitäten scheint Goethes Eigenthum zu sein.
Trotz der Ueberladung mit pathologischen Zügen ist der poetische Reiz der Gestalt Mignons gross, und Goethe selbst stellte sie sehr in den Vordergrund. Am 29, V. 1814 sagte er (sich seiner Neigung zum Superlativ überlassend) zum Canzler, die Sta@l„habe Mignon bloss als Episode beurtheilt, da doch das ganze Werk dieses Charakters wegen geschrieben sei.“
Knebel fragt Goethe am 1. 11. 1796:„Ist die letzte Verklärung einem so dämonischen Wesen, wie nun Mignon erscheint, angemessen? Kann sie wohlthun?“