Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1903) Goethe ; Theil 1
Entstehung
Seite
121
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Goethe über Lenz.

seine Beobachtungen sich zu unterhalten liebte. Dieser krankhafte Zug habe zu der Wertherstimmung gehört, sei aber bei Lenz besonders ausgeprägt gewesen.(An einer anderen Stelle sagte Goethe:Wenn der Mensch über sein Physisches oder Moralisches nachdenkt, findet er sich gewöhnlich krank.) Eine besondere Eigenthümlichkeit des Lenz sei sein Hang zur Intrigue gewesen. Er habe sich dabei nicht erreichbare Ziele vorgesetzt, sondern immer etwas Fratzenhaftes. Liebe und Hass seien bei ihm imaginär gewesen, er habe dem, den er liebte, nicht genützt, dem, den er hasste, nicht geschadet. Vielleicht ist Goethes Ausdruck Intrigue nicht ganz passend; das, was er meint, ist eigentlich mehr Phantasterei oder die Sucht, Phanta­stisches in das Leben hinein zu tragen. Ein Beispiel

ist Lenzens thörichtes Gerede über seine Liebe zu Cornelie Schlosser. Goethe rühmt weiterhin Lenzens

aus wahrhafter Tiefe und unerschöpflicher Productivität hervorgehendes Talent, in dem Zartheit, Beweglichkeit und Spitzfindigkeit mit einander wetteiferten, das aber, bei aller seiner Schönheit, durchaus kränkelte. Trotz grosser Züge und lieblicher Zärtlichkeit in seinen Ar­beiten habe er sich von albernen und barocken Fratzen nicht losmachen können. Goethe habe darauf ge­drungen, Lenz möge sich aus dem formlosen Schweifen zusammenziehen und an diekunstgemässe Fassung des Producirten denken. Lenzen aber sei es nur wohl 8Cwesen, wenn er sich grenzenlos im Einzelnen ver­floss und sich an einem unendlichen Faden ohne Ab­Sicht hinspann. Rühriges Nichtsthun sei ihm beson­